Die Überlegung, bei welchem Spiel vielleicht ein wenig los sein könnte, führte mich letztlich in die Hauptstadt. Die Ansetzung, die – Deutschlandweit betrachtet – mit Publikum stattfinden durften, versprachen nicht den ganzen großen Kracher aber die Partie in Ost-Berlin kam mir noch ganz recht. Das ‚Zoschke‘ in Lichtenberg wollte eh mal besucht werden und der Gegner aus Leipzig ließ den Funken Hoffnung glimmen, dass sich die aktive Szene auf den Weg machen würde. An Berlin scheiden sich ja die Geister, aber um hier nicht völlig abzuschweifen, möchte ich den vom damaligen Ortsvorsteher Wowereit getätigten Spruch „Arm aber sexy“ aufgreifen. Das passt nämlich schon. Ist ja subjektiv, aber ich persönlich finde die Spree-Metropole immer ganz geil. Die Stadt hat so unfassbar viele verschiedene Gesichter. Nicht alle davon sind interessant und ansehnlich, aber sehr viele Ecken versprühen ordentlich Flair oder ihren ganz eigenen Charme, selbst wenn dieser auch mal zweifelhaft ist. Da machte mir schon die Fahrt vom Alexanderplatz über die breite Karl-Marx-Allee in Richtung Lichtenberg Spaß. Diese fantastische Mischung aus Prachtbauten im sowjetisch anmutenden Zuckerbäcker-Stil und sanierter DDR-Platte schmeichelte dem Sozialismus-Fetischisten in mir. Das ‚Hans-Zoschke-Stadion‘, benannt nach einem Widerstandskämpfer gegen das Nazi-Regime, wurde in den frühen Jahren der DDR erbaut und besticht eigentlich durch seine Schlichtheit. Es ist ein reines Fußballstadion ohne jede Überdachung. Lediglich über einem kleinen Teil des Sitzplatzbereiches wurde Pavillon als Wetterschutz errichtet. Die Stufen erfreuen sich an einem leichten Rasen-Flaum. Hinter dem Stadion türmt sich die graue Gesichts- und Fensterlose Nord-Fassade der Zentrale des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit auf. In Berlin sind zwar vergleichsweise viele Zuschauer zugelassen, dafür herrscht auf den Stehplätzen das mittlerweile beinahe obligatorische Masken-Gebot und ein skurril anmutendes Sing-Verbot. Meine Hoffnung wurde nicht enttäuscht und auf dem Weg zum Eingang kamen mir in Polizeibegleitung etwa 70-80 Lok-Ultras entgegen. Das Sing-Verbot wurde von dieser Gruppe im Stadion nicht beachtet, obwohl von dieser das Masken-Gebot zu einem großen Teil eingehalten wurde(!). Mich darüber zu echauffieren wäre scheinheilig. Ganz im Gegenteil – ich habe mich über die Gesänge gefreut, denn es vermittelte zumindest eine leise Spur von Normalität. Erfreulicher Weise verzichtete der Stadionsprecher darauf, die Gäste ständig mit nervtötenden Ansagen zu ermahnen und wies lediglich ein Mal auf des bestehende Verbot hin. Auch Ordnungs- und Staatsmacht unternahmen nichts, um den Lok-Anhang von seinem Handeln abzubringen. Gut so, auch wenn es in der aktuellen Phase gegen jede Vernunft ist. Der Heim-Anhang äußerte sich auch vier- oder fünf Mal, schien dann aber schon eher darüber im Zweifel zu sein, ob man sich nun erwischt fühlen müsste oder nicht. Die 47er gingen bereits nach zwei Minuten in Führung und die Loksche brachten sich nach nicht mal einer halben Stunde auch noch in Unterzahl. Aber die Gäste kämpften und erzielten nach der Pause auch sehenswert den Ausgleich, aber die Lichtenberger waren dadurch wohl wachgerufen und gingen durch einen Doppelschlag umgehend mit zwei Toren wieder in Führung. Für die Lokisten, die ihre gute vergangene Saison wohl nicht bestätigen können, reichte es dann nur noch zum Anschlusstreffer.
Magdeburger SC Preussen vs TSV Grün-Weiß Kleinmühlingen Zens 2:0
Heinrich-Germer-Stadion, 90 Zuschauer, Landesliga Sachsen-Anhalt Nord
In dieser leidigen Virus-Epoche muss man flexibel bleiben. Der erste Teil von Plan A kippte am Freitag-Mittag aufgrund der Corona-bedingten Absage des anvisierten Spieles. Plan B war letztlich eher ein Plan C, aber wenn Teil 2 von Plan A noch umgesetzt werden wollte, war das noch die angenehmste Lösung. Soweit alles verstanden? Magdeburg hieß also nun ganz unverhofft das Ziel am heutigen Samstag. Während der große FCM einige Kilometer verzweifelt um Drittliga-Punkte kämpfte, begab ich mich ins Heinrich-Germer-Stadion des MSC Preussen. Schon ein netter Ground mit rund um die Laufbahn angelegten Rängen, die auch nicht mehr komplett im besten Zustand sind und wohl nur noch auf der Hauptseite Nutzung erfahren. Landesliga wird hier gespielt, siebtklassig ist das auf Sachsen-Anhaltinischer Ebene, was sich schlimmer anhört als es ist. Zu Gast war der TSV aus dem nahen Kleinmühlingen, der sich bereits im Abstiegskampf befindet, während der MSC oben dabei ist. Spielerisch war es einigermaßen anzuschauen. Die Preussen reduzierten sich durch eine Tätlichkeit zwar schon nach einer halben Stunde um einen Spieler, waren aber insgesamt dennoch das bessere Team und gewannen verdient. Was gar nicht ging, waren die Äußerungen der mitgereisten etwa 30 Gäste-Sympathisanten und von der Ersatzbank des TSV. Ich bin kein Kind von Traurigkeit, aber was da 90 Minuten auf die MSC-Spieler und die Unparteiischen in voller Lautstärke einprasselte war unter aller Kanone. Auch wenn es von der reinen Wortwahl (meist) beim üblichen Fußball-Gepöbel blieb, hatte man den Eindruck, dass jedem Gast vorm Spiel ein großer Becher Blut gereicht worden war. Mein Respekt gehörte dem Schiri-Assistenten vor der Gästebank, der die Show meist seelenruhig ertrug in und in einigen Momenten die passenden Worte fand.
No woman in Kray. Na zumindest fast. 200 Zuseher waren zu diesem Spiel gekommen und die waren überwiegend männlichen Geschlechts. War natürlich nicht mein erster Besuch an der Buderusstraße, der letzte liegt aber schon einige Jahre zurück, so dass ich für das Spiel gegen den Tabellenführer aus dem Westmünsterland die Stadt durchquerte. War ja durchaus eine vernünftige Partie und es kann ja auch jeden Tag wieder vorbei sein mit dem Fußballschauen. Ich würde zwar nicht von mir behaupten, dass ich aktuell mitnehme, was irgendwie geht, aber dennoch ich neige momentan sicherlich dazu, mich für Spielpaarungen zu interessieren, die mich in ’normalen‘ Zeiten eher kalt ließen. Rechtfertige ich mich hier gerade für meine Entscheidung? Egal. Maske tragen nervt sicherlich. Man kann sich natürlich auch beleidigt schmollend mit „Das ist nicht mehr mein Fußball“-Protestplakat auf die heimische Couch zurückziehen, das ist für mich aber (noch) keine Alternative. Zudem interessiert es ja auch eh kein Schwein, wenn man sich an eine Stelle zurückzieht, wo man auf zwanzig oder dreißig Metern der Einzige ist und sich die Maultüte dann von der Schnute zieht. Bei den aktuellen Kapazitäts-beschränkungen in NRW bietet jede Anlage mehr als ausreichend Platz um Abstand zum nächsten Zuschauer zu wahren, wenn man das möchte. Das eigentliche Highlight der Spielbesuche beim FC Kray ist ja der Zugang zum Platz. Beziehungsweise die Buderusstraße, die man durchlaufen darf. Leck mich fett, was lebt da für ein Gesocks! Gut, dass man den Wagen mangels Parkraum ein Stück entfernt unterbringen muss, sonst würde man seine Mühle nach dem Spiel sicherlich aufgebockt ohne Räder wiederfinden. Etwa 50 Gäste-Anhänger durften sich an einem souverän vorgetragenen Auftritt ihres Teams erfreuen. Die entscheidende Zahl war heute die ’60‘. In der 60. Spielsekunde und der 60. Spielminute erzielte der 1.FC Bocholt die beiden Treffer zum verdienten Auswärtserfolg, mit dem man die Position an der Tabellenspitze untermauerte.
Weiter ging es nach Erle in die verbotene Stadt. Als ich mein Rad abgestellt hatte, rannte ich direkt mal Sascha in die Arme und Thomas, den ich schon ‚Am Hallo‘ unerwartet getroffen hatte, fand auch noch zu uns. Über die Schönheit der Stadt Gelsenkirchen lässt sich (nicht!) streiten, das ändert aber nichts an der Tatsache, dass es dort überdurchschnittlich viele ansehnliche Anlagen und Stadien gibt. An der Oststraße in Erle steht eine solche Perle. Für 15.000 Zuschauer war das weite Oval einst zugelassen. Ob diese Kapazität auch nur mal ansatzweise ausgereizt wurde, wage ich stark zu bezweifeln. Wie auch heute dürften sich über die Stehtribüne und auf der unüberdachten Sitztribüne meist nur wenige, vielleicht mal einige hundert Zuschauer verteilt haben. Über die Geschichte dieses nostalgischen Stadions lässt sich leider nicht viel herausfinden. Die Gäste aus dem Halterner Ortsteil Lippramsdorf zeigten sich von dem wuchtigen Rund aber nur wenig beeindruckt und schenkten den Gastgebern ein halbes Dutzend ein. Hätte auch noch schlimmer kommen können – die Erler Deckung zeigte eklatante Lücken. Zwar steckte die Spielvereinigung nie auf, aber ernsthaft in Bedrängnis kam die Gäste-Defensive nur selten. Dabei genossen die Erler sogar die Unterstützung einer Fan-Gruppierung, die aber prinzipiell nur durch drei Banner am Zaun auffiel und die mitgebrachte Trommel und die Stimmbänder genau ein einziges Mal bemühte.
Stadion im Sportpark Am Hallo, 220 Zuschauer, A-Junioren-Bundesliga Staffel West
Der Plan für das Wochenende war ein anderer – es sollte einen etwas weiteren Ausritt geben – aber die Abwägung von Aufwand und Ertrag ließen mich das Vorhaben am Samstag-Morgen noch kippen. Daher reduzierte sich der Fußball-Konsum nun auf den heutigen Sonntag, der vorbildlich mit dem Fahrrad absolviert wurde. Ist ja eh so ein klimafreundliches Hobby, dass ich pflege…*hust*. Wenn man die Großen des Herzens-Clubs Corona-bedingt nicht schauen darf, müssen es halt mal die Kleinen sein. Nach dem Wiederaufstieg in die Staffel West der A-Junioren-Bundesliga empfing die U19 des glorreichen RWE das Team aus dem Tal der Tränen. Gespielt wurde im Stadion Am Hallo. Ich schaue mir nur sehr selten Spiele unterhalb des Seniorenbereichs an, dabei mag ich die Spielweise eigentlich. Nutzloses Ballgeschiebe bekommt man so gut wie nie geboten, stattdessen wird schnell umgeschaltet und der Weg nach vorne gesucht. Da geht dann sicherlich auch mal was schief, aber der geneigte Besucher scheint mir Fehler des Nachwuchses eher zu verzeihen. Offensiv-Spiel ist halt beim Publikum beliebter, als die oft etwas sedierende Spielweise der Senioren. Was die Roten dann auf dem Grün anboten, sah gar nicht so übel aus. Beide Teams gaben ordentlich Gas, der RWE hatte aber über die gesamte Spielzeit das Geschehen im Griff, erzielte zwei blitzsaubere Treffer und sammelten im zweiten Saisonspiel verdient die ersten Zähler ein. Sicherlich kann sich die Mannschaft nicht mit den ganz großen Clubs an Rhein und Ruhr auf eine Stufe stellen, aber wenn die heutige Leistung, der Wille und die Einsatzbereitschaft immer gezeigt werden, dann sollte der Klassenerhalt möglich sein.
Stadion Velbert, 415 Zuschauer, Oberliga Niederrhein
Im Juli musste die SSVg Velbert ihre alte Heimat, das ‚Stadion an der Sonnenblume‘, räumen. Die Stadt hat eine alternative Nutzung vorgesehen, was vermutlich nichts anderes bedeutet, als Wohnbebauung. Damit wurde wieder einmal ein schönes kleines Stadion mit eigener Identität aufgegeben und an anderer Stelle durch einen recht sterilen Neubau ersetzt. Natürlich ist das neue Velberter Stadion für einen Oberligisten recht ansehnlich, aber es ist eben auch mit anderen Neubauten austauschbar. Da die Spielvereinigung auf Sicht aber höhere Ziele anstrebt, kann diese Anlage natürlich einen weiteren Schub verleihen. Am heutigen nasskalten Mittwoch-Abend fand das Topspiel des Spieltages hier statt. Die Gastgeber empfingen den Tabellendritten aus dem Monheimer Stadtteil Baumberg, der zwar mittlerweile als gestandener Oberligist angesehen werden darf, aber aufgrund fehlender Infrastruktur mit hoher Wahrscheinlichkeit einen möglichen Aufstieg eh nicht annehmen würde. Das Spiel begann ausgeglichen, aber nach einer Viertelstunde übernahm die Sport- und Spielvereinigung von 1902 die Regie und erzielte bis zum Seitenwechsel drei Treffer. Die Vorentscheidung? Sah lange danach aus, bis die Gäste der Partie zehn Minuten vor dem Ende mit einem Doppelschlag Spannung verliehen. Zum Ausgleich sollte es aber nicht mehr reichen, zur Freude von knapp zehn aktiven Anhängern, die ihr Team mit den ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten unterstützten. Neben mir waren noch zwei Hände voll andere Anhänger der ‚Bewegung‘ anwesend, so dass hier und da ausreichend Gelegenheit zum Smalltalk blieb.
Stadion Bonn im Sportpark Nord, 569 Zuschauer, Regionalliga West
Am zweiten Sonntag im März sah ich den glorreichen RWE zum letzten Mal in einem Pflichtspiel und zwar auswärts beim Bonner SC. Heute schloss sich dieser Kreis, denn erneut trat der Deutsche Meister von 1955 im Sportpark Nord der ehemaligen Bundeshauptstadt an. Gäste-Fans sind aktuell ja eigentlich nicht zugelassen, das Einlassprozedere stellte sich aber als unkompliziert heraus, so dass der Teilnahme an diesem Spiel nichts mehr im Wege stand. Im Stadion konnte hinter den Gesichtsmasken dann das eine oder andere bekannte Augenpaar erkannt werden. Der RWE begann im Bonner Nieselregen stark. Die Anfangsviertelstunde war wohl die beste Phase der Gäste und in dieser hätte mindestens ein Tor fallen müssen, aber die Chancenverwertung bleibt offensichtlich ein latentes Manko. Der BSC kam dann etwas besser ins Spiel ohne dass sich an der Überlegenheit der Roten groß etwas änderte. Ganz so zwingend wie zu Beginn war das Auftreten nicht mehr, der Führungstreffer durch Kefkir nach etwas mehr als einer halben Stunde aber irgendwie dennoch eine logische Folge aus dem Spielverlauf. Beim Treffer sprangen dann etwas mehr als zwei Dutzend Leute auf und spätestens jetzt war klar, dass es eine kleine RWE-Abordnung in den Sportpark Nord geschafft hatte. Nach dem Seitenwechsel traten die Gastgeber dann mutiger auf. Mussten sie ja auch, wenn noch etwas Zählbares erreicht werden sollte. Der RWE brauchte zehn bis fünfzehn Minuten um sich auf die offensivere Ausrichtung einzustellen, danach war das Geschehen aber großenteils unter Kontrolle. Die Qualität der Mannschaft zeigt sich auch durch die Stabilität, die nun notwendig war. Hinten brannte nicht viel an, das Mittelfeld wurde einige Male mit flüssigen Kombinationen überbrückt und vorne gab es zwar weniger Chancen als im ersten Durchgang, aber einige Möglichkeiten wurden kreiert. Zwei, drei Dinger rauschten gefährlich nah am Kasten von RWE-Schlussmann Davari vorbei, direkt auf das Tor kam aber nichts Gefährliches. Dass man dann doch bis zum Schlusspfiff um den Sieg fürchten musste, lag weniger an den Gastgebern, als am fehlenden zweiten Treffer für die Roten. Ein glücklicher Moment hätte dem BSC ja schon gereicht. Den gab es aber nicht, weil das Essener Team bis zum Ende konzentriert zu Werke ginge. So stand unter dem Strich ein knapper, aber sicherlich verdienter Sieg. Tja, ein wirklich erquickendes Erlebnis war das aber nun nicht. Klar ist es schön, seine Mannschaft mal wieder spielen zu sehen und emotional war ich auch dabei, aber das ist natürlich nicht der Fußball, den man sich wünscht. Man kann kaum mit seinen Leuten zusammen sitzen, erst recht nicht stehen und Atmosphäre natürlich völlige Fehlanzeige. Das Bonner Publikum, das ja nun eh keine wirklich ernst zunehmende Fan-Szene stellt, versuchte es regelmäßig mit Anfeuerung im Handball-Stil. Die versprengte Essener Abordnung traute sich in der Schluß-Viertelstunde mal den einen oder anderen Gesang anzustimmen, aber über Testspiel-Atmo ging das alles nicht raus. An drei erreichten Punkten ändert das aber auch nichts und so hat sich der RWE nun in der Spitzengruppe der Liga eingefunden. Leider machten die schlechten Lichtverhältnisse in der feuchten Witterung das Fotografieren zu einer Herausforderung
Heute auf den Tag genau vor 25 Jahren fand im guten, alten Georg-Melches-Stadion eines dieser denkwürdigen DFB-Pokalspiele statt, die einem ein rot-weisses Leben lang in Erinnerung bleiben werden. Die Roten waren in der drittklassigen Regionalliga West/Südwest zu Gange und empfingen den Werksclub aus Leverkusen, dessen Mannschaft damals exzellent besetzt war. Trainer Erich Ribbeck hatte mit Rudi Völler, Bernd Schuster, Paulo Sergio, Ion Lupescu, Christian Wörns absolute Weltklasse-Akteure im Kader. Vor diesen Namen verblassten gestandene Spieler wie die drei Markusse Münch, Happe und Feldhoff oder der Brasilianer Rodrigo, die selbst ja schon eine ordentliche Klasse mitbrachten. Auf einem Mittwoch-Abend war die alte Bude rappelvoll und platzte beinahe aus allen rostigen Nähten. Hafenstraße, Pokal, Flutlicht – das war und ist immer noch eine ganz besondere, explosive Mischung! Und genauso nahm der Krimi dann auch seinen Lauf. Bengalos wurden gezündet, auf der durch den Abriss der Westkurve frei gewordenen Fläche wurde ein Feuerwerk abgefackelt und die Lautstärke nahm unmittelbar Dimensionen an, dass einem sofort die Ohren klingelten. Reporter-Koryphäe Rolf Töpperwien begann seinen Bericht mit den Bildern der durch die Bengal-Fackeln in rotes Licht getauchten – abgedroschen, aber man muss es so sagen: legendären – Gegengeraden und der Aussage „… eine Begrüßung, wie ich sie in 23 Berufsjahren, außer im Aztekenstadion in Mexico City, noch nie erlebt habe“. Die beiden Fluchtlichtmasten auf der Westseite zeigten sich auch angemessen beeindruckt und quittierten mal direkt den Dienst. Aber die Kraft der Lichtmasten war ja so stark, dass die anderen beiden Masten noch ausreichende Beleuchtung produzierten. Nach einer Viertelstunde waren dann aber dann (fast) alle Lampen mit vollem Einsatz am Werk. Zu diesem Zeitpunkt hätte der glorreiche RWE schon führen können, denn Bayer-Schnapper Heinen konnte einem Schuss von Christian Dondera nur mit den Fingerspitzen das Tempo nehmen. Holger Fach kratzte das auf das Tor zu trudelnde Spielgerät gerade noch von der Linie. In der Anfangsphase waren nur die Roten am Drücker, aber wie das ja so ist, reicht den Favoriten oft eine gute Aktion. War dann auch so und Feldhoff konnte mutterseelenallein am langen Pfosten eine Flanke zu Führung verwerten.
Der Kick sollte also wohl seinen normalen Verlauf nehmen. War dann aber nicht so, denn RWE-Ikone ‚Putsche‘ Helmig konnte noch vor dem Seitenwechsel eine selbst eingeleitete, richtig schöne Kombination mit dem Kopf zum Ausgleich abschließen. Paulo Sergio stellte die Gäste-Führung aber kurz nach der Pause wieder her und es war kurzzeitig beinahe totenstill, denn nur der zarte Jubel aus dem Gäste-Sektor war zu hören. Der Gästeblock war damals ja noch auf der Osttribüne und aus Leverkusen waren höchstens ein paar hundert Mann angereist, die man in diesem Hexenkessel sonst kaum hören konnte. Dondera konnte keine zehn Minuten später erneut ausgleichen und weiter ging die wilde Fahrt. Ich meine mich an ein weitgehend ausgeglichenes Spiel erinnern zu können. Was der Bayer an Qualität hatte, konnten die Roten durch unbändigen Einsatzwillen kompensieren, aber in der Box machte sich der Unterschied dann leider zu oft bemerkbar. Trotzdem hatte der RWE in der Folge zwei richtig fette Möglichkeiten, die von Dirk Heinen hervorragend entschärft wurden. Wenn in dieser Phase der Führungstreffer für die Roten gefallen wäre, wäre diese Partie endgültig zu Gunsten des RWE gekippt, da bin ich mir absolut sicher. Die Jungs in den weißen Trikots machten ein Wahnsinnspiel. ‚Putsche‘ verpasste Bernd Schuster sogar einen Beini. Das Tor fiel aber nicht und den nächsten Treffer setzte erneut der Bundesligist. Holger Fach köpfte ein und dann wurde es völlig verrückt. Als Rudi Völler 17 Minuten vor dem regulären Ende auf 4:2 erhöhte, dachte wohl jeder, das Ding sei nun durch. Drei Minuten später sah die Welt wieder völlig anders aus. Dondera hatte zunächst den Anschluss erzielt. Danach verknotete die eingewechselte Fummelbuxe Olli Grein dem Leverkusener Rodrigo am Sechzehner-Eck die Beine und die anschließende Flanke wuchtete Helmig mit dem Kopf ins Netz. Ekstase pur beim Ausgleich, die Leute flogen durcheinander, keiner stand danach mehr an seinem ursprünglichen Platz. Ich war mit meinem damals besten Kumpel, meiner Schwester und ihrer Freundin beim Spiel und hatte Mühe die drei nach dem Ausgleichstreffer auf der Tribüne wieder zu finden. Die Leute standen ja so unfassbar eng beieinander, wie es heute aufgrund der Sicherheitsbestimmungen gar nicht mehr möglich ist. Töpperwien hatte in seinem Bericht nun auch völlig den Faden verloren und sprach vom „Stadion an der Georg-Melches-Straße“.
Schließlich ging es in die Verlängerung, an die ich annähernd null Erinnerung habe. Auch die alten Fernsehbilder helfen mir da nicht, irgendwie war ich in einer anderen Welt. Unerklärlicherweise verließen die Roten die Kräfte aber nicht und es muss bis zum Ende eine ziemlich offene Partie geblieben sein. Die Entscheidung musste dann im Elfer-Schießen fallen und hier waren die Roten dann leider nicht abgezockt genug. Bei zwei Essener Fehl-Schüssen verwandelte die Bayer 04-Schützen alle sicher und der Kampf wurde am Ende nicht belohnt. Dennoch bleibt dieses Erlebnis sicher auf ewig in der Erinnerung unmittelbar hinter der Final-Teilnahme 1994 und dem Pokal-Fight gegen die Unaussprechlichen aus der verbotenen Stadt zwei Jahre zuvor. Diese Rot-Weiss-Mannschaft ist wohl auch die, welche mir am besten in Erinnerung ist, die unheimlich Spaß gemacht hat, denn das waren fast alles authentische Jungs, denen man auch abnehmen konnte, dass es für sie etwas besonderes ist, das RWE-Wappen auf der Brust zu tragen.