Rückblick: DFB-Pokal-Achtelfinale, 04.10.1995

Rot-Weiss Essen vs Bayer 04 Leverkusen 5:8 n.E.

Georg-Melches-Stadion, 25.000 Zuschauer, DFB-Pokal Achtelfinale
Heute auf den Tag genau vor 25 Jahren fand im guten, alten Georg-Melches-Stadion eines dieser denkwürdigen DFB-Pokalspiele statt, die einem ein rot-weisses Leben lang in Erinnerung bleiben werden. Die Roten waren in der drittklassigen Regionalliga West/Südwest zu Gange und empfingen den Werksclub aus Leverkusen, dessen Mannschaft damals exzellent besetzt war. Trainer Erich Ribbeck hatte mit Rudi Völler, Bernd Schuster, Paulo Sergio, Ion Lupescu, Christian Wörns absolute Weltklasse-Akteure im Kader. Vor diesen Namen verblassten gestandene Spieler wie die drei Markusse Münch, Happe und Feldhoff oder der Brasilianer Rodrigo, die selbst ja schon eine ordentliche Klasse mitbrachten. Auf einem Mittwoch-Abend war die alte Bude rappelvoll und platzte beinahe aus allen rostigen Nähten. Hafenstraße, Pokal, Flutlicht – das war und ist immer noch eine ganz besondere, explosive Mischung! Und genauso nahm der Krimi dann auch seinen Lauf. Bengalos wurden gezündet, auf der durch den Abriss der Westkurve frei gewordenen Fläche wurde ein Feuerwerk abgefackelt und die Lautstärke nahm unmittelbar Dimensionen an, dass einem sofort die Ohren klingelten. Reporter-Koryphäe Rolf Töpperwien begann seinen Bericht mit den Bildern der durch die Bengal-Fackeln in rotes Licht getauchten – abgedroschen, aber man muss es so sagen: legendären – Gegengeraden und der Aussage „… eine Begrüßung, wie ich sie in 23 Berufsjahren, außer im Aztekenstadion in Mexico City, noch nie erlebt habe“. Die beiden Fluchtlichtmasten auf der Westseite zeigten sich auch angemessen beeindruckt und quittierten mal direkt den Dienst. Aber die Kraft der Lichtmasten war ja so stark, dass die anderen beiden Masten noch ausreichende Beleuchtung produzierten. Nach einer Viertelstunde waren dann aber dann (fast) alle Lampen mit vollem Einsatz am Werk. Zu diesem Zeitpunkt hätte der glorreiche RWE schon führen können, denn Bayer-Schnapper Heinen konnte einem Schuss von Christian Dondera nur mit den Fingerspitzen das Tempo nehmen. Holger Fach kratzte das auf das Tor zu trudelnde Spielgerät gerade noch von der Linie. In der Anfangsphase waren nur die Roten am Drücker, aber wie das ja so ist, reicht den Favoriten oft eine gute Aktion. War dann auch so und Feldhoff konnte mutterseelenallein am langen Pfosten eine Flanke zu Führung verwerten.
Der Kick sollte also wohl seinen normalen Verlauf nehmen. War dann aber nicht so, denn RWE-Ikone ‚Putsche‘ Helmig konnte noch vor dem Seitenwechsel eine selbst eingeleitete, richtig schöne Kombination mit dem Kopf zum Ausgleich abschließen. Paulo Sergio stellte die Gäste-Führung aber kurz nach der Pause wieder her und es war kurzzeitig beinahe totenstill, denn nur der zarte Jubel aus dem Gäste-Sektor war zu hören. Der Gästeblock war damals ja noch auf der Osttribüne und aus Leverkusen waren höchstens ein paar hundert Mann angereist, die man in diesem Hexenkessel sonst kaum hören konnte. Dondera konnte keine zehn Minuten später erneut ausgleichen und weiter ging die wilde Fahrt. Ich meine mich an ein weitgehend ausgeglichenes Spiel erinnern zu können. Was der Bayer an Qualität hatte, konnten die Roten durch unbändigen Einsatzwillen kompensieren, aber in der Box machte sich der Unterschied dann leider zu oft bemerkbar. Trotzdem hatte der RWE in der Folge zwei richtig fette Möglichkeiten, die von Dirk Heinen hervorragend entschärft wurden. Wenn in dieser Phase der Führungstreffer für die Roten gefallen wäre, wäre diese Partie endgültig zu Gunsten des RWE gekippt, da bin ich mir absolut sicher. Die Jungs in den weißen Trikots machten ein Wahnsinnspiel. ‚Putsche‘ verpasste Bernd Schuster sogar einen Beini. Das Tor fiel aber nicht und den nächsten Treffer setzte erneut der Bundesligist. Holger Fach köpfte ein und dann wurde es völlig verrückt. Als Rudi Völler 17 Minuten vor dem regulären Ende auf 4:2 erhöhte, dachte wohl jeder, das Ding sei nun durch. Drei Minuten später sah die Welt wieder völlig anders aus. Dondera hatte zunächst den Anschluss erzielt. Danach verknotete die eingewechselte Fummelbuxe Olli Grein dem Leverkusener Rodrigo am Sechzehner-Eck die Beine und die anschließende Flanke wuchtete Helmig mit dem Kopf ins Netz. Ekstase pur beim Ausgleich, die Leute flogen durcheinander, keiner stand danach mehr an seinem ursprünglichen Platz. Ich war mit meinem damals besten Kumpel, meiner Schwester und ihrer Freundin beim Spiel und hatte Mühe die drei nach dem Ausgleichstreffer auf der Tribüne wieder zu finden. Die Leute standen ja so unfassbar eng beieinander, wie es heute aufgrund der Sicherheitsbestimmungen gar nicht mehr möglich ist. Töpperwien hatte in seinem Bericht nun auch völlig den Faden verloren und sprach vom „Stadion an der Georg-Melches-Straße“.
Schließlich ging es in die Verlängerung, an die ich annähernd null Erinnerung habe. Auch die alten Fernsehbilder helfen mir da nicht, irgendwie war ich in einer anderen Welt. Unerklärlicherweise verließen die Roten die Kräfte aber nicht und es muss bis zum Ende eine ziemlich offene Partie geblieben sein. Die Entscheidung musste dann im Elfer-Schießen fallen und hier waren die Roten dann leider nicht abgezockt genug. Bei zwei Essener Fehl-Schüssen verwandelte die Bayer 04-Schützen alle sicher und der Kampf wurde am Ende nicht belohnt. Dennoch bleibt dieses Erlebnis sicher auf ewig in der Erinnerung unmittelbar hinter der Final-Teilnahme 1994 und dem Pokal-Fight gegen die Unaussprechlichen aus der verbotenen Stadt zwei Jahre zuvor. Diese Rot-Weiss-Mannschaft ist wohl auch die, welche mir am besten in Erinnerung ist, die unheimlich Spaß gemacht hat, denn das waren fast alles authentische Jungs, denen man auch abnehmen konnte, dass es für sie etwas besonderes ist, das RWE-Wappen auf der Brust zu tragen.