Exkurs: Jahnstadion Marl

Das Jahnstadion in Marl

Bereits während des ersten Lockdowns im Frühjahr steuerte ich im Rahmen einer kleinen Rad-Tour mit meinem Mitstreiter Marco das Jahnstadion in Marl an. Da ich damals keine Kamera mitführte, wiederholte ich im Herbst den Besuch in diesem wunderbaren Stadion, das ja einigermaßen in Vergessenheit geraten ist. Dabei ist das Oval gar nicht mal so klein und bot zu seinen besten Zeiten 35.000 Zuschauern Platz. Die Ursprünge des Stadions liegen beinahe schon 100 Jahre zurück. 1924 wurde mit dem Bau des Stadions begonnen, nach dem Krieg wurde es vergrößert. Anfang der 60er Jahre wurde die Haupttribüne erneuert und mit einer Dachkonstruktion mit zwei charakteristischen Träger-Pylonen versehen. Nutzer des Jahnstadions war der TSV Marl-Hüls, der 1954 die Deutsche Amateurmeisterschaft gewinnen konnte. Seine beste Phase erlebte der Club aber in der ersten Hälfte der 60er Jahre, als er drei Jahre in der damals höchsten Spielklasse, der Oberliga West verbrachte. In dieser Zeit besuchten bis zu 18.000 Zuschauer die Heimspiele des TSV. Nachdem sich der Verein in der Qualifikations-Saison nicht für die neu eingeführte Bundesliga beworben hatte, ging es bergab. Vor einigen Jahren erlebte der Club noch einmal eine Hochphase, die ihn aus der Bezirksliga bis in die Oberliga spülte. Finanzielle Unregelmäßigkeiten führten aber in die Insolvenz und schließlich im vergangenen Jahr zur Auflösung des traditionsreichen Vereins, der nach Neugründung ganz unten wieder von vorn beginnt.
2005 hatte der TSV das Jahnstadion verlassen, da Ränge und Tribünendach baufällig geworden waren, die Stadt aber nicht mehr investieren wollte. Stattdessen sollte das Gelände für Wohnbebauung hergerichtet werden. Daraus wurde aber erst mal nichts und ein Baseball-Club bekam die Spielstätte für die Nutzung zugeteilt. Den Baseballern wurde 2017 gekündigt. Ende August 2018 sollten diese das Stadion spätestens verlassen, da die Stadt die Wohnbebauung nun endgültig in Gang bringen wollte. Nichts dergleichen ist aber geschehen. Die Baseballer schlagen zwischen den verwilderten Rängen weiter Baseballs durch die Gegend. Moos und wild zwischen den Stufen hervorsprießende Pflanzen, haben sich der Kurven bemächtigt, teils so dicht, dass sie unpassierbar geworden sind. Die Haupttribüne gammelt vor sich hin. Von den Sitzschalen und -bänken ist kaum etwas übrig, das Dach ist undicht und der über den ehemaligen Sitzplätzen hängende Sprecher- und Medienbereich vermittelt beinahe den Eindruck, jede Sekunde herunterstürzen zu können. Lediglich die Gegengerade ist noch in nutzbarem Zustand, aber für die vermutlich wenigen Zuschauer der in der drittklassigen NRW-Liga werfenden und schlagenden Sly Dogs völlig überdimensioniert.
Aber genau dieser Zustand mit der Patina vergangener Tage verleiht dem alten Rund ja eine besondere Atmosphäre. Wie immer, wenn ein ehemals imposantes Stadion sich selbst und der Natur überlassen wird, gibt es diese zwei Blickwinkel. Einerseits ist es schade, dass eine schöne Spielstätte von der Stadion-Landkarte verschwindet und auf der anderen Seite entsteht so ein ganz besonderer Ort. Inzwischen sind aber die Weichen für die Bebauung gestellt, denn das Gelände wurde durch die Kommune als Siedlungsbereich ausgewiesen. Eine Bürgerinitiative hemmt die Entwicklung allerdings noch – dieser geht es um den Baumbestand rund um das alte Stadion. Es scheint, als wehre sich dieser charmante Stadion-Dino bis zuletzt gegen den beschlossenen Untergang.