Mannheim – Sa., 22.10.2022, 14:00

SV Waldhof Mannheim 07 vs Rot-Weiss Essen 1:2

Carl-Benz-Stadion, 8.910 Zuschauer, 3.Liga
Auf das Spiel beim SV Waldhof habe ich mich richtig gefreut. Vielleicht weil dieser Verein meinem Herzensclub so ähnlich ist, denn auch das Mannheim Publikum zeichnet sich durch eine erlesene Mischung aus Pöbel, Asis und Gesocks aus. Nicht ohne Grund nennen sie sich selber ‚Barackler‘, eine Anspielung auf die im Stadtteil Waldhof liegenden Benz-Baracken, einem sozialen Brennpunkt Mannheims, bekannt durch einschlägige Dokumentationen im Privat-Fernsehen. Fast 2.000 Rot-Weisse machten sich auf den Weg. Schon echt geil welche Masse sich aktuell bei Auswärtsspielen trotz des bescheidenen Saisonstarts auf die Reise begibt, das macht richtig Laune. Der Away-Bereich war vom Waldhof gut organisiert, es waren reichlich Catering-Stände geöffnet, so dass niemand lange auf Wurst oder Bier warten musste. Kompliment dafür, da haben andere Gastgeber auch schon auf ganzer Linie versagt. Das Spiel begann mit einem Paukenschlag der danach viel und deutschlandweit diskutiert wurde. Nach einem langen Ball behinderten sich der herausstürzende Waldhof-Keeper und ein Verteidiger gegenseitig. Der Schlussmann stieß dabei hart mit dem Kopf gegen das Knie des Defensiv-Mannes, ließ den bereits aufgenommen Ball fallen und blieb benommen liegen. RWE-Stürmer Berlinski der ganz nah an der Szene dran war, schob die Kirsche ins leere Tor. Das alles spielte sich innerhalb von zwei Sekunden ab. Der Schiedsrichter machte nach meiner Meinung alles richtig, befragte in Ruhe seine beiden Assistenten und entschied dann folgerichtig den Treffer anzuerkennen, da kein Foulspiel des RWE-Stürmers vorlag. Nach der Partie wurde ja auf allen Kanälen über mögliches mangelndes Fairplay diskutiert. Mehrfache Ansicht der TV-Bilder bestätigte aber nicht nur die richtige Entscheidung des jungen Referee, sondern auch, dass sich alles so schnell abspielte, dass es für Berlinski unmöglich war, im Spielstress zu erkennen, dass es den Waldhof-Schnapper härter erwischt hatte.
Es gab auch Stimmen, die meinten, RWE hätte eine sportliche Reaktion zeigen und Mannheim unbedrängt den Ausgleichstreffer schenken sollen. Auch das ist nach meiner Meinung Unsinn, denn das würde dem Schauspiel Tür und Tor öffnen. Wenn in dieser Gesamtsituation überhaupt ein Fehler steckt, dann dass Waldhof-Kapitän Seegert (noch) nicht vom Platz gestellt wurde, nachdem er Berlinksi aufgeregt hart anging und umstieß. Aber auch Seegert sei zugestanden, dass er die Situation nicht sofort richtig einschätzen konnte, was zwar den ausbleibenden Platzverweis prinzipiell nicht entschuldigt, aber menschlich nachvollziehbar ist. Ob die Gastgeber nun geschockt oder vom starken Anfangs-Pressing der Rot-Weissen überrascht waren, wird sich nicht mehr klären lassen. Gohlke, der Unglücksrabe aus der Szene vom ersten Tor, spielte jedenfalls wenige Minuten später einen zu kurzen Rückpass auf den Schlussmann, der spurtstarke Berlinski ging dazwischen und schob zum zweiten Treffer ein. Ausrasten im Gästeblock! Ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht, dass der glorreiche RWE bei den bis dato in dieser Saison zu Hause noch verlustpunktfreien Mannheimern nach nicht mal einer Viertelstunde mit 2:0 führt. Erst nach einer halben Stunde kam der Waldhof das erste Mal gefährlich vor die Hütte von Jakob Golz. Und direkt klingelte es. Aus einer Ecke für Rot-Weiss entstand ein Konter und obwohl RWE-Rakete Isi Young mit zurück spurtete, gelang es dem schnellen Waldhof-Stürmer auf und davon zu gehen und auf den freien Mann quer zu legen, der ins leere Tor netzte.  Einen Kopfball hatte Golz dann noch zu entschärfen, aber insgesamt ging es mit einer verdienten Führung für ein mutiges Auftreten in die Kabine. Und das obwohl aufgrund von neun durch Sperren und Verletzungen bedingten Ausfällen bei Weitem nicht das Premium-Personal auf dem Rasen stand.
Nach dem Seitenwechsel ging es aber dann mehr und mehr Richtung Gäste-Tor, aber eine konzentrierte Defensiv-Leistung und ein brilliant aufgelegter Jakob Golz verhinderten den Ausgleich für die Barackler. Seegert holte sich noch spät seine insgesamt verdiente Rote Karte ab und dann war es geschafft. Vor der Heim-Kurve gab es dann noch Rudelbildungen zwischen beiden Teams, was wiederum Teile der Waldhof-Szene jetzt nicht so gut fanden und plötzlich standen 20 Mann auf dem Rasen, die aber schnell von heraneilenden Polizeikräften wieder auf die Ränge gebeten wurden. Mit diesem unerwarteten Dreier schafft der Deutsche Meister von 1955 den Anschluss ans Mittelfeld. Ich bin allerdings immer noch nicht von unserem Mann an der Linie überzeugt. Rhetorisch ist der einfach schwach und mir fehlt in seinem Verhalten auch unbedingte Empathie gegenüber dem Fan-Volk. Offenbar hat er aber die Mannschaft auf den richtigen Kurs gebracht, vielleicht bekommt er ja auch noch das Gesamtpaket hin. Ohne das aus einer neutralen Position bewerten zu können, bin ich recht sicher, dass der RWE-Anhang auch die Stimmungswertung gewonnen hat. Da hatte ich von der Waldhof-Kurve mehr erwartet, mehr Lautstärke und auch mehr Masse, da war ich etwas überrascht ob der Unterlegenheit gegenüber dem Gäste-Mob.
Auch auf der Straße war die ‚Stimmung‘ nachher hervorragend. Einigen wenigen gelang es, sich auch noch einmal körperlich auszutauschen, was bei Einzelnen wiederum leider mit einem Aufenthalt im Gewahrsam belohnt wurde und der Rest der am Rahmenprogramm interessierten Gemeinde übte sich getrennt durch eine Kette von Ordnungshütern im Pöbeln. Es waren auf beiden Seiten auch Leute der etwas älteren Krawall-Szenen zugegen, denen es allerdings mehr darum zu gehen schien, mal wieder zu zeigen dass es sie überhaupt noch gibt. Kein Wunder, denn für den Straßenkampf, dürften die Strategen schon etwas zu betagt sein. Wer schon ein paar Jahre mehr auf dem Buckel hat, dem werden ‚City-Boys 85‘ auf der einen und ‚Essener Löwen‘ auf der anderen Seite sicher etwas sagen. Schöne Oldschool-Szenerie – auch das erinnerte mich an die Hafenstraße. Die Heimfahrt war natürlich herrlich entspannt. Mit drei Punkten im Gepäck reist man einfach unbeschwerter ein paar hundert Kilometer nach Hause, als mit einer Niederlage.