Lódz – Di., 03.05.2022, 18:00

Lódzki KS vs RTS Widzew Lódz 0:1

Stadion Miejski w Lódzi, 15.998 Zuschauer, I liga
Ich war ja nun schon mehr als ein Dutzend Male in Polen, aber warum auch immer hatte es mich noch nicht nach Lodz verschlagen, obwohl es nach Warszawa und Krakow die drittgrößte Stadt des Landes ist. Da der Spielplan die beiden großen Traditionsvereine der Stadt nun zusammenführte und außerdem das neue Stadion von LKS endlich fertiggestellt ist, war der Zeitpunkt für einen Besuch endgültig mal gekommen. Übrigens ziemlich bescheuert, so lange damit gewartet zu haben, denn so bleiben mir die beiden wunderbaren Oldschool-Buden dieser Vereine, die mittlerweile Neubauten gewichen sind, auf ewig verwehrt. Die jüngere Geschichte dieser beiden Vereine glich nach der Jahrtausendwende einem Schlingerkurs. Beeinträchtigt durch sportlichen Niedergang, finanzielle Probleme und sogar Spielmanipulation, ging es durch alle möglichen Ligen mal rauf und mal runter. Seit ein paar Jahren herrscht nun Kontinuität und die Clubs sollen wieder behutsam und nachhaltig an erfolgreiche Zeiten herangeführt werden. Aktuell bewegen sich LKW und Widzew auf zweitklassigem Niveau, Widzew ist in dieser Spielzeit aber auf bestem Wege, die Rückkehr in die Extraklasa zu bewerkstelligen.
Als wir mit dem Zug aus Warszawa in Lodz einfuhren, passierten wir das Widzew-Stadion, wo sich der Mob schon sammelte, um die Strecke quer durch die Stadt zu Fuß zurückzulegen. Feuer ist in dieser Paarung immer genug drin, auch im wahrsten Sinne des Wortes. 900 Karten durften an die Gäste vergeben werden, welche das Kontingent auch komplett ausnutzten, natürlich – wie es in Polen so üblich ist – unterstützt von befreundeten Szenen, wie Wisla, Ruch und Elana Torun. Zu Spielbeginn sah der Block aber noch etwas gerupft aus, war maximal halb voll und die in rote Hoodies gekleideten Gäste blieben erst einmal stumm und dekorierten in aller Ruhe ihren Block mit den Gruppen-Bannern. Bis das dann tief in der ersten Hälfte erledigt war, waren auch endlich alle drin, zunächst wurde wohl der Zutritt durch die Ochrona erschwert. Bis dahin hatte die Heimseite schon ordentlich losgelegt, ebenfalls unterstützt von befreundeten Gruppen. Unübersehbar war hier Zawisza Bydgoszcz, die mit bestimmt 150 schwarz gekleideten Leuten angereist waren, aber unerklärlicher Weise im Eckblock neben der Kurve Stellung bezogen, was etwas befremdlich wirkte. Weitere Unterstützung war durch den alten Pakt mit Lech und Cracovia gesichert.
Die Gastgeber hatte mit einer großen Blockfahne eröffnet, die einen Ultra mit einem LKS-Doppelhalter zeigte. Eben diese Doppelhalter waren danach zu hunderten rechts und links davon im Block zu sehen. Am Zaun prangte ein Banner mit dem einfachen aber aussagekräftigen Hinweis, dass es nur einen Club in der Stadt gibt. Obligatorisch, dass dazu Fackeln gezündet wurden, die aber im noch zu hellen Tageslicht nicht so prall rüber kamen. Rüber kamen dann aber ein paar Dutzend zwielichtige LKS-Hools und zwar auf der Gegenseite an den Gästesektor. Nach einigem grimmigen Gepose wurde der Widzew-Anhang dann aus dem Nichts mit Silvester-Raketen beschossen. Kranker Mist. Das hat mit Hooliganismus dann auch nichts mehr zu tun, sondern ist vorsätzliche Körperverletzung und wenn es ganz dumm läuft auch noch mit Todesfolge. Für die Widzewiany war das ein Deja Vu, denn selbiges hatten sie vor wenigen Wochen schon bei GKS Katowice erlebt. Ein neuer Trend? Hoffentlich nicht, denn das ist eine Nummer zu groß! Obwohl Ochrona und Policija in Polen ja mittlerweile gut ausgerüstet und geschult für solche unberechenbaren Aktionen sind, passierte aber annähernd nichts. Die Staatsmacht wirkte überfordert.
Mit Beginn von Hälfte zwei gab es auf LKS-Seite eine weitere Blockfahne, auf der ein paar erlegte Widzew-Kibole zu sehen waren. Das zugehörige Spruchband lautete „Die Ungläubigen erwarten ihr Schicksal“. Oberhalb der Blockfahne stiegen ein paar dünne Rauchfahnen auf. Nach dem die Blockfahne runtergezogen wurde, brannte die Kurve natürlich lichterloh und raketenähnliche Geschosse wurden gezündet. Sah sehr geil aus und dazu wurde mit hunderten kleinen Schwenkern gewedelt. Beinahe zeitgleich startete dann auch der Gästeblock seine Aktion. Aus mehreren Stoffbahnen wurde die Titelseite einer Zeitung nachgebildet, auf welcher die Schlagzeile „Neues Bordell, alte Huren“ prangte. Die Botschaft dahinter war natürlich klar. Da die Justierung der einzelnen Bahnen aber gar nicht so einfach war, brauchte es einen zweiten Versuch, was dem Widzew-Anhang erst einmal eine Ladung Häme einbrachte. Dann stieg eine stattliche schwarze Rauchwolke unter das Stadiondach und zu guter Letzt wurden rechts und links massiv Fackeln entzündet. Guten Aktion insgesamt.
Da geriet das Spiel dann natürlich zur Nebensache, welches zwar nicht hochklassig aber äußerst spannend war. LKS ließ ein paar sehr gute Einschussmöglichkeiten aus und Widzew blieb immer gefährlich. Solche emotionsgeladenen Derbys gehen dann ja gerne mal torlos aus, siehe Krakow vor zwei Tagen, aber Widzew setzte zehn Minuten vor dem Ende den entscheidenden Treffer und holte sich damit Platz zwei, der zum direkten Aufstieg berechtigt, zurück. Der Away-Sektor war natürlich in totaler Ekstase. Somit setzte es für LKS im lange ersehnten, endlich fertig gestellten neuen Stadion die zweite Niederlage im zweiten Spiel und während Widzew gemeinsam feierte, bat die LKS-Kurve ihr Team zum ersten Krisengipfel im neuen Zuhause.