Exkurs: Stadion Mathias Stinnes

Stadion Mathias Stinnes in Essen

Die Essener Lost Ground-Perle schlechthin ist natürlich das ‚Stadion Mathias Stinnes‘ in Essen-Karnap, direkt am nördlichen Stadtrand neben dem Müllheizwerk gelegen. Erbaut wurde es 1925 und in den 50er Jahren von der Zeche Mathias Stinnes übernommen, die dem Stadion auch den Namen des Gründers dieses mit dem Ruhrgebiet verankerten Unternehmen verlieh. Die Zeche baute das Stadion zu einer modernen Anlage mit einem Fassungsvermögen von über 20.000 Zuschauern aus und die TSG Karnap 07, damals zweitgrößter Essener Sportverein, zog auf die Anlage um. Die Fußballabteilung der TSG erlebte damals eine erfolgreiche Phase und spielte in den höchsten Ligen auf Verbandsebene vor mehreren tausend Zuschauern. Nach der Fusion mit Schwarz-Gelb Karnap zum FC Karnap 07/27 verließ der neu gebildete Club das Stadion und zog auf die Anlage an der Lohwiese um. Stattdessen wurde das Stadion nun von der A-Jugend und der zweiten Mannschaft von Rot-Weiss Essen für den Spielbetrieb genutzt.
Nach Sanierung der Bezirkssportanlage an der Seumannstraße in Altenessen, wo heute auch das Nachwuchs-Leistungszentrum von RWE seinen Platz hat, wechselten die beiden Teams aber dorthin. Auch der marokkanisch-stämmige Verein Bader SV und das Freizeitliga-Team von Rot-Weiß Altenessen nutzten die Anlage, richteten ihre Heimspiele aber überwiegend auf dem Hartplatz hinter dem Stadion aus. Auch die gehörlosen Sportler hatten hier ihre Heimat und ebenso wurde der Rasen des Stadions für Rugby und American Football genutzt. Im Jahre 1956 wurde das erste Länderspiel einer Deutschen Damen-Nationalmannschaft im Mathias-Stinnes-Stadion ausgerichtet – inoffiziell, da der Frauen-Fußball seinerzeit noch nicht durch den DFB legitimiert war. Gegner waren die Niederlande und vor über 17.000 Zuschauern endete die Partie mit einem 2:1-Sieg.
Nachdem die RWE-Teams das Stadion nicht mehr nutzten, lag der Rasenplatz brach und die Ränge wurden nicht mehr gepflegt. 2011 wurde das alte Sportheim mit der integrierten Turnhalle abgerissen und 2012 das Stadion für den Spielbetrieb endgültig geschlossen. Viele Pläne gab es für das Areal, vom Reiterhof über einen Alten- und Jugendtreff bis zum türkischen Zentrum – realisiert wurde nichts davon. Im Herbst 2015 begann der Anfang vom Ende. Mit dem Aufkommen der Flüchtlingswelle wurden Flächen für die Errichtung von Auffangheimen gesucht und die Stadt befürwortete, nicht mehr genutzte Sportplätze als Standorte zu nutzen. Auch das Stinnes-Stadion wurde ausgewählt. Zu diesem Zweck wurde die Nordöstliche Ecke der Stehtribüne mitsamt dem charakteristischen Tunnel eingerissen und entfernt, um den Zugang zu vereinfachen. Die schöne Anlage wurde verstümmelt. Ein gutes Jahr später war die errichtete Zeltstadt verlassen und wurde wieder entfernt.  Zurück blieb eine geschichtsträchtige, von der jüngsten Nutzung gezeichnete Spielstätte. Das Spielfeld war verloren, teilweise asphaltiert und mit Kies verfüllt worden. Lediglich die verbliebenen Stehränge und die alte Haupttribüne, von der nur noch die Ränge übrigblieben, nachdem in den 60er Jahren eine Lokomotive vom dahinter liegenden Bahndamm in die Tribüne gerutscht war, zeugen noch von einem ehemals stolzen kleinen Stadion.
Der alte Hartplatz wurde ebenfalls zu einem Großteil entfernt, der Rest ist überwuchert. Man findet im Dickicht noch drei alte Flutlichtmasten und Teile des Stankett. Hinter dem ganzen Gestrüpp entdeckt man das alte Kabinengebäude, welches dem Vandalismus zum Opfer gefallen ist. Das gesamte Gelände gehört dem Energiekonzern RWE, der nur das nötigste für die Sicherung des Areals unternimmt, und sonst nichts damit anzufangen weiß. Bei allem Verständnis für die finanziell angespannte Situation der Kommune wurde es verpasst, diese charakteristische, an eine vergangene Zeit erinnernde Anlage zu erhalten. Gebäude werden unter Denkmalschutz gestellt – warum ist das bei traditionsreichen Stadien nicht möglich?
Die drei Foto-Blöcke in diesem Beitrag zeigen den Zustand des Stadions in den Jahren 2008, 2012 und 2020.