Bis Freitag-Abend hatte ich ausreichend Zeit für ein Leben neben dem Fußball. Den Donnerstag nutzte ich zu einem Ausflug in die Gegend südlich von Belgrad. Erstes Ziel war der Avala, ein etwa 500 Meter hoher Berg. Auf diesem befinden sich das in Form eines Mausoleums errichtete ‚Denkmal des unbekannten Soldaten‘ und ein 205 Meter hoher Rundfunkturm. Dieser Turm wurde Ende des letzten Jahrtausends während des Kosovo-Krieges durch einen NATO-Angriff zerstört und danach neu errichtet. Vom Avala aus hat man einen guten Ausblick bis und über Belgrad. Danach ging es einen Berg weiter. Der Kosmaj liegt etwa 40 Kilometer südlich von Belgrad, auf dem sich ein Spomenik befindet. Spomeniks sind Kriegsdenkmäler, die man über den ganzen Balkan verstreut findet. Diese meist sehr bizarr aussehenden Gebilde haben mich in ihren Bann gezogen und wenn immer sich die Gelegenheit bietet, ein Spomenik zu besuchen, nutze ich diese. Auf dem Kosmaj steht eines dieser merkwürdigen Teile. Die Bedeutung dieses aus fünf abstrakten Stelen bestehenden Denkmals ist nicht bekannt. Ein Ansatz ist die Deutung als Synonym für den fünfzackigen Sterns als antifaschistisches Symbol. Das Wetter war mittlerweile komplett gekippt, was nicht nur die Folge hatte, dass ich mich allein an diesem Ort befand, sondern auch eine etwas düster-mystische Atmosphäre. Es hätte kaum überrascht, wenn sich plötzlich ein Partisanen-Trupp aus dem Dickicht hervor gekämpft hätte.
Abschließend hatte ich die glorreiche Idee noch einen Abstecher an die Donau zu machen und mir dafür den Ort Ritopek auserkoren, zumal auch dort noch ein Spomenik zu bestaunen gewesen wäre. Da hatte ich aber die Rechnung ohne die Einwohner des Ortes gemacht, die augenscheinlich der Volksgruppe angehören, von der ein deutsches Volkslied behauptet ihr Leben sei lustig. Jedenfalls hatte ich den Wagen noch nicht einmal gestoppt, als schon ein Horde Kinder und Jugendliche im Vollsprint Kurs auf mich nahm und ich es daher vorzog, die Beschleunigungswerte meines Fahrzeugs zu testen. Ergo Kurs Nord-Nordwest: Belgrad.
Und dabei passierte ich dann das ‚Osttor von Belgrad‘. Diesen Spitznamen trägt ein prominent platzierter, weithin sichtbarer Gebäudekomplex osteuropäischer Baukunst aus Sichtbeton. Brutalismus nennt man diesen Baustil. 570 Wohnungen werden in diesem 85 Meter hohen Dreigestirn vereint. Ich hatte mir diesen Komplex schon beim letzten Aufenthalt von außen angesehen und da nun die Tür zu einem der Türme offenstand, nahm ich die Möglichkeit wahr, zu inspizieren wie man dort so wohnt. Irgendwie schon eindrucksvoll, angefangen bei dem Riesenbrett an Briefkästen. Auf den einzelnen Etagen haben sich die Bewohner dann ihre eigenen Stillleben eingerichtet. Auch an Gerüchen wurde ein Querschnitt durch die slawische Kochkunst und gängige Tabakerzeugnisse geboten. Allerdings wirkt alles doch eher ungepflegt, veraltet und abgeranzt. Den Aufzügen traute ich nicht und erklomm die 28 Etagen per pedes. Nach dieser skurrilen Besichtigung brachte ich den Wagen wieder im Parkhaus unter, ging etwas essen und lies den Tag dann ausklingen.
Für den Freitag hatte ich mir eine kleine Wanderung im Nationalpark Fruska Gora vorgenommen. Dieses ist ein Mittelgebirgs-Höhenzug etwa 50 Kilometer nordwestlich von Belgrad. Erster Anlaufpunkt auf dem Weg dahin war aber das Sloboda Spomenik, welches mitten in der Fruska Gora liegt. Die Zeiten, dass diese Gedenkstätten vernünftig gepflegt wurden, sind auch lange vorbei. Und genau das macht diese Spots so besonders und spannend. Die Denkmäler umweht der Hauch des Vergangenen, das verleiht eine ganz andere Atmosphäre, als wenn alles wie geleckt aussieht. Ich parkte das Auto am Info-Center des Nationalparks, ließ mir eine Karte aushändigen und einen brauchbaren Weg aufzeigen und marschierte los. Grobes Ziel waren zwei alte Klöster, die am Fuße des Gebirgszuges liegen. War am Ende ne ganz schöne 11 Kilometer-Runde, die aber landschaftlich auch im Sauerland hätte stattfinden können.
Gegen 16 Uhr war ich zurück in Belgrad und wartete auf Information von Seb und Kevin, die sich für heute angesagt hatten. Ein Stündchen später trafen wir uns und machten uns zu Fuß und per Taxi auf zum ‚Stadion Karlj Petar Prvi‘. Dort fand das kleine Stadt-Derby zwischen den Fudbalski Klubs Rad und Vozdovac statt. Während Vozdavac im Niemandsland der Tabelle stand und aller Sorgen ledig war, standen die Gastgeber mit dem Rücken zur Wand und benötigten dringend Zählbares. Der FK Rad ist Fan-technisch die dritte Kraft der Stadt. Hinter dem Tor sammelten sich etwa 60 bis 70 Leute hinter dem United Force-Banner und weiteren Zaunfahnen. Früher war der Standort der Szene im Oberrang der Haupttribüne. Dieser wurde aber vor einiger Zeit seines Daches beraubt, so dass die Szene wohl aus diesem Grunde entschied, hinter das Tor zu ziehen, um akustisch besser Einfluss auf das Geschehen nehmen zu können.
Im Oberrang befindet sich aber weiterhin der Block für die Gäste und durch die baulichen Besonderheiten des etwas schrulligen kleinen Stadions waren diese – etwa 40 Mann und eine Frau – kaum zu vernehmen. Der Block war aus unserer Position schlecht einzusehen – an dieser Stelle Danke an Kevin für die beiden Fotos des Away-Bereiches, die er mir zu Verfügung stellte. Beinahe der gesamte Vozdovac-Mob präsentierte sich mit freiem Oberkörper und hatte zwei bezaubernde Fahnen dabei. Echt, das ging mal gar nicht. Dass rechtes Gedankengut in Serbien und auf dem Balkan allgemein nicht selten zu Tage tritt, ist ja kein Geheimnis. Und dass die kleine Szene des FK Vozdovac da auch wohl noch einen Schritt weiter ist, war mir beim Spielbesuch dort Anfang März auch nicht verborgen geblieben. Aber was hier am heutigen Abend gezeigt wurde, war einfach nur massive Fascho-Scheiße, die kein Schwein sehen will. Traurig, dass so eine klare extremistische Außendarstellung offensichtlich von der Allgemeinheit, den Offiziellen, Ordern und Staatsmacht kommentarlos und sanktionslos hingenommen wird. Mehr gibt es dazu auch nicht zu sagen. Rad war mir eh der sympathischere Verein. Leider versäumten es die Gastgeber, eine der wenigen guten Chancen zu nutzen und als die Gäste einmal führten, war das Kind dann auch in den Brunnen gefallen. Mit Bus und Taxi begaben wir uns zurück ins Zentrum und suchten uns eine Pinte, wo wir noch ein paar leckere Getränke schnappen konnten. Später stieß auch noch der Mitfahrer von Seb und Kevin, Leon aus Lippstadt dazu, der das Abend-Spiel in Novi Sad geschaut hatte und den ich bisher nicht kannte. Für mich wurde der Abend aber nicht zu lang – da ich ja am nächsten Tag eine lange Strecke in Angriff nehmen musste, verschwand ich gegen 1 Uhr ins Hotel.