GROUNDFEVER geht neue Wege. Ich habe mich entschlossen, in dieser Zeit, in der unsere Leidenschaft in ein künstliches Koma versetzt wurde, in loser Folge und ohne zeitliche Regel einige Gast-Autoren um Beiträge zu bitten, in denen die Verfasser erzählen, wie sie zum Verein ihres Herzens und die Begeisterung für Fußball-Reisen gekommen sind. Den Anfang macht Malte aus Oldenburg, Anhänger des VfB. Mein bis heute einziger Besuch im Oldenburger Marschwegstadion datiert übrigens aus dem Jahr 1996, als der glorreiche RWE nach Führung aus der ersten Hälfte das Spiel in der Schlussphase noch abgab. Über 20 Jahre her – ich bin alt! Vielen Dank für Deinen Beitrag, Malte.
Groundhopping und der VfB Oldenburg – wie alles begann!
Es ist Dienstag, der 15.08.2006. Im Oldenburger Marschwegstadion fertigt gerade der Fünftligist VfB Oldenburg den alten Rivalen und damaligen Drittligisten Kickers Emden mit 3:0 ab und zieht in die nächste Runde des NfV-Pokals ein. Mitten in der jubelnden Menge steht ein elfjähriger Junge und ist fasziniert. Dieser elfjährige Junge war natürlich ich. Meine Brüder nahmen mich mit ins Stadion und ich war direkt infiziert. Es war die perfekte Zeit, um zum VfB zu stoßen. Ein Jahr zuvor hatte die Mannschaft unter Joe Zinnbauer den Aufstieg knapp verpasst, was in dieser Saison nachgeholt werden sollte. Es folgte für mich schnell die erste Auswärtsfahrt. Mit dem Zug ging es zur zweiten Mannschaft des SV Wilhelmshaven, wo bei bestem Wetter 4:1 gewonnen wurde.
Die kleine, familiäre Fanszene, der auch meine Brüder angehörten, beeindruckte mich zunehmend und ich wollte unbedingt jedes Spiel sehen, egal ob Heim oder Auswärts. Die Saison verlief erfolgreich und hatte sogar das eine oder andere Spiel zu bieten, an welches man sich auch heute noch gerne zurück erinnert. Dabei fällt mir spontan die 0:3 Niederlage in Rehden ein, bei der aus Protest gegen die Eintrittspreise von einer stillgelegten Bahnanlage aus supportet wurde. Oder das Auswärtspiel in Havelse, zu dem sich dank finanzieller Hilfe von Sponsoren vier Busse aus Oldenburg auf den Weg nach Garbsen machten, ebenso wie eine Gruppe sportlich orientierter Schlachtenbummler, die mit dem Zug anreiste. Mit dazu zählt natürlich auch der letzte Spieltag. Der VfB hatte es in eigener Hand, es fehlte nur ein Sieg um diese Saison mit dem Aufstieg zu krönen. Und die Blauen ließen nichts anbrennen und gewannen gegen den TuS Lingen vor 8000 Zuschauern mit 4:0. Müsste ich fünf Spiele aussuchen, die mir emotional im Gedächtnis geblieben sind, dann gehört dieses ganz sicher dazu. Es folgte eine große Party im Stadion, am Fanprojekt und anschließend mit offizieller Feier am Stadthafen.
In der darauffolgenden Saison in Liga 4, damals noch Oberliga Nord, warteten dann auch direkt die nächsten Highlights, aber auch die erste herbe Enttäuschung. Da ich Gästefans im Marschwegstadion nicht kannte, fieberte ich schon vor der Saison den Spielen gegen Holstein Kiel und natürlich den Erzrivalen SV Meppen entgegen. Auf diese Spiele blicken noch viele VfBer gerne zurück. Im Oktober war der haushohe Favorit und Tabellenführer aus Kiel im Marschwegstadion zu Gast und ging folgerichtig auch mit 2:0 in Führung. Unserem jungen Team gelang aber eine legendäre Aufholjagd, die zehn Minuten vor dem Ende durch einen ebenso legendären Freistoß von Ghasemi-Nobakht mit dem Siegtreffer gekrönt wurde. Ekstase pur unter den 6300 Zuschauern im Stadion. Nur zwei Wochen später waren dann die Emsland-Schweine zu Gast, die mit 3:0 direkt wieder nach Hause geschickt wurden. Die Hinrunde wurde sensationell auf dem zweiten Tabellenplatz beendet. Das war auch wichtig, denn nach dieser Saison sollte es eine Reform geben, die die beiden Regionalligen zur neuen 3.Liga zusammenschloss. Um sich also für die neue vierte Liga, die neue Regionalliga, zu qualifizieren musste man mindestens den fünften Platz erreichen. Der Sechst- und Siebtplatzierte würden in der Relegation antreten müssen.
Der VfB Oldenburg wäre nicht der VfB Oldenburg, wenn man nicht die Rückrunde so verkackt hätte, dass man am letzten Spieltag auf die Schützenhilfe von Holstein Kiel hoffen musste, um zumindest noch die Relegation zu erreichen. Zwar ging das noch irgendwie gut, allerdings verkackte man anschließend auch die Relegation in bester Oldenburger Manier. Es ging also nach nur einem Jahr wieder zurück in Liga 5. In dieser Saison schaffte es der VfB endlich mal in die landesweite Presse. Aber anders, als man es sich erhofft hatte. Nach einer souveränen Saison, die man vier Punkte vor Eintracht Nordhorn auf Platz 1 beendete, folgten die Aufstiegsspiele gegen den Goslarer SC. Der VfB und Aufstiegsspiele. Wie eben angemerkt, passt das nicht zusammen. Nachdem man im Hinspiel in Goslar mit 1:0 gewann, waren die Erwartungen in Oldenburg und dem Umland sehr groß. Im Rückspiel fanden sich 12000 Zuschauer zusammen, von denen wahrscheinlich nur die mitgereisten Südniedersachsen noch dran glaubten, dass der VfB das ganze aus der Hand gibt. Aber wie war das noch gleich? Der VfB wäre nicht der VfB, wenn…
1:2 für Goslar und der Traum wurde zum Albtraum. Kurz nach Abpfiff entlud sich Frust und Enttäuschung in einem Platzsturm mit anschließendem Handgemenge. Ausgang bekannt. Beim Gedanken daran flossen auch Wochen später noch Tränen. Der bis heute schwärzeste Tag in meinem Fan-Dasein und in der jüngeren Vereinsgeschichte. Innerhalb des Vereins und der Fanszene herrschte Chaos, viele Stadionverbote und „Geisterspiele“ wurden verhängt. Außerdem eilt dem VfB seitdem auch ein unrühmlicher Ruf voraus.
Erst im Jahr 2012 konnte man sich im Zuge der nächsten Reform für die vierte Liga qualifizieren, in der man bis heute verweilt. Zwischenzeitlich machte sich auch bei mir eine kleine Lethargie breit, was dazu führte, dass ich nach jahrelanger Mitgliedschaft in verschiedenen Fangruppen das Geschehen nur noch von Außen betrachtete und nicht mehr ins Stadion ging. Der graue Alltag auf norddeutschen Sportplätzen, die man teilweise zum dritten oder vierten Jahr in Folge besuchte, motivierten irgendwann nicht mehr. Das fing erst einige Zeit später wieder an, als Freunde von mir mich wieder motivieren konnten, mit ins Stadion zu kommen. Mittlerweile allerdings auf der Haupttribüne und nur noch gelegentlich im Fanblock auf der Gegengerade. Das klingt jetzt schon irgendwie wie ein alter Hase. Meine ersten Jahre mit dem VfB waren aber auch einfach extrem turbulent. Da muss man sich erst dran gewöhnen, nicht jedes Jahr um den Aufstieg mitspielen zu können und auch mal einige Jahre im Tabellenmittelfeld herumzukrebsen.
2015 ging ich schon einige Zeit wieder regelmäßig ins Stadion und fuhr auch wieder auf Auswärtsspiele. Im Frühjahr fragte mich mein Bruder, der es selbst aus privaten Gründen kaum noch ins Stadion schafft, ob ich Lust hätte mit ihm zusammen nach Schottland zu fliegen, um sich ein ein Spiel von Heart of Midlothian anzuschauen. Ich war zu dieser Zeit noch nie geflogen und, außer gelegentlicher Ausflüge in die benachbarten Niederlande, auch nie im Ausland. Ich war also direkt angetan von der Idee und wir machten uns dann im Januar für ein Wochenende auf den Weg nach Edinburgh. Ich war als Fan eines Viertligisten natürlich irgendwie anders mit dem Fußball verbunden, als nur die „großen“ Vereine in der Champions League zu verfolgen. Mir hatten es schon immer mehr die Traditionsvereine angetan, die ich fast alle durch Kicker-Stecktabellen oder durchgemachte Nächte vorm Fußball Manager kannte. Das Wochenende in der schottischen Hauptstadt gefiel mir so gut, dass ich drei Monate später mit zwei Freunden direkt wieder verreisen wollte. Wir entschieden uns für eine Woche in Amsterdam und schon hatte ich auch meine erste Reise selbstständig organisiert. Im Oktober führte uns der Weg nach langer Überlegung nach Lissabon. Aus heutiger Sicht eine absolute Chaosplanung. Da wir früh morgens von Düsseldorf aus abflogen, mussten wir schon einen Abend zuvor zum Flughafen fahren und die Nacht dort verbringen. Mit Iberia flogen wir erst nach Madrid und nach einem dreistündigen Aufenthalt weiter nach Lissabon. Alles extrem unnötig, kann man doch von Hamburg einfach und günstig direkt nach Lissabon fliegen. Aber gut, die Erfahrungen muss man nunmal auch selbst machen.
Auf den ersten Reisen war mir persönlich Fußball nicht so wichtig. Ich schaute meist erst nach der Buchung, ob irgendwas in der Nähe ist und so machte ich den Länderpunkt Portugal ziemlich spontan mit dem Besuch bei Sporting Lissabon in der Europa League. Auch die folgenden Reisen nach Marrakesch, Barcelona oder Split besuchte ich keine Spiele. Das lag aber eher daran, dass ich mich nach meinen Mitreisenden richtete, die allesamt nur in den Fußballpausen Urlaub oder Semesterferien hatten. Man kann also sagen, dass mich vor dem Groundhoppen schon das Reisefieber gepackt hat. Man erlebt halt auch ohne Fußball zu schauen sehr viel wenn man unterwegs ist. Ob es zwielichtige Apotheker in Marrakesch ist oder nächtlich barfuß durch Barcelona zu irren, weil man es nicht hinbekommt, seine Schuhe anzuziehen. Anekdoten gibt es viele, die ich nicht alle aufzählen kann, darf oder möchte. Ist wahrscheinlich besser so. 😀
Damit angefangen, meine Reisen nach Fußball zu richten, habe ich erst im Jahr 2018. Ist also noch gar nicht so lange her. Ich habe dann echt lange mit mir gerungen, mal alleine zu verreisen, nachdem ich zuvor für jede Tour eigentlich jemanden gefunden hatte, der mich begleitet. Irgendwann wollte ich aber meine Mitmenschen nicht jedes Mal nerven und auch nicht auf eine Reise verzichten, weil ich keine Begleitung fand. Im April 2018 verreiste ich dann das erste Mal alleine. Zumindest zum Teil. Ich flog alleine nach Mailand, um das Derby zu besuchen, welches an einem Mittwochabend nachgeholt wurde. Am Samstag traf ich mich mit einem Freund aus Kiel, mit dem ich nach Genua zum Derby weiterfuhr. Ich hatte ja mittlerweile ein bisschen Erfahrung und mit Italien auch nicht das exotischste Ziel auserkoren. Allein unterwegs zu sein kann wirklich entspannt sein. Man kann jeden Tag selbst gestalten und braucht auf niemanden Rücksicht zu nehmen. Genau so wie man deutlich mehr aus sich selbst herauskommen und auf die Menschen zugehen muss. Das fällt dem gemeinen Norddeutschen ja bekanntlich auch nicht so leicht. Bei mir klappte das unerwartet gut, auch wenn ich bis heute lieber jemanden dabei habe, mit dem ich das Erlebte teilen kann.
Um mir die Zeit alleine zu vertreiben, fing ich an Berichte zu schreiben, da ich selbst immer schon gerne Reise- und Hoppingberichte gelesen habe. Im Zuge dessen entstand dann auch meine Homepage. Vorbild dafür war auch Michas „Groundfever“-Seite, dessen Berichte ich immer gerne gelesen habe, auch um mir Anregungen zu holen. Bis zum heutigen Tage bin ich bei 19 Länderpunkten im Fußball und 22 besuchten Ländern angekommen. Tendenz natürlich steigend. Ich bin gespannt, wie sich die Reisebranche und Groundhoppingszene in Zukunft entwickeln wird und hoffe natürlich, dass wir alle bald wieder unserer Leidenschaft nachgehen können.
In diesem Sinne: bleibt gesund! Und vielen Dank an dich, Micha, für Deinen Gastbeitrag auf meiner Seite. Wenn die Zwangspause vorbei ist geht das erste Bier auf mich!