Rückblick: Aufstiegsrunde 1993

deutschland

Saison 1992/1993 – Die Aufstiegsrunde zur 2.Liga

Im Sommer des Jahres 1993 erlebten die Anhänger der Rot-Weissen eine der nicht allzu häufig auftretenden Phasen der Glückseligkeit. Der RWE war einigermaßen souverän durch die Oberliga Nordrhein, damals drittklassiges Niveau, marschiert und fieberte nun der Aufstiegsrunde zur 2.Liga entgegen. Diese Runden waren damals noch notwendig, weil es unterhalb der zweiten Liga Deutschlandweit zehn Oberligen gab. Eigentlich eine ziemlich geile, weil emotionsgeladene Sache und diese Aufstiegsrunden dauerten ja auch gute drei Wochen, gingen aber nach einer anstrengenden regulären Saison an die Substanz. Zudem war die Planung für die kommende Spielzeit ob der Ungewissheit, in welcher Liga man nun antreten würde, äußerst schwierig, da diese Runden erst kurz vor dem Saison-Schluss zu Ende gingen.
In 1993 wurde in drei Gruppen jeweils ein Aufsteiger ermittelt. Eine Gruppe umfasste die Meister der in drei Staffeln spielenden Oberliga Nordost, in der zweiten Gruppe spielten die Meister Baden-Württembergs, Hessens, Bayerns und dem Vizemeister der Oberliga Nord, welcher als einziger Tabellenzweiter antreten durfte, da die Nord-Oberliga ein sehr weites Gebiet umfasste. Und in der dritten Gruppe kämpfte der RWE mit den Meistern Westfalens, Preußen Münster, des Südwestens, Eintracht Trier, und des Nordens, dem VfL Herzlake. Die Preußen und der RWE gingen als Favoriten in die Runde – es war nahezu klar, dass der Platz an der Sonnen zwischen diesen beiden Clubs ausgemacht würde. Der Trierer Eintracht wurden Außenseiter-Chancen eingeräumt und der VfL aus dem 4000-Einwohner-Kaff Herzlake im Emsland war das unbeschriebene Blatt, das aber zurecht keiner auf der Rechnung hatte.
Rot-Weiss hatte damals eine der Mannschaften, die dem RWE-Anhang wohl am positivsten in Erinnerung geblieben sind. Neben Schnapper und Fan-Liebling Frank Kurth, standen Identifikationsfiguren wie Jörg Lipinski, Olli Grein, Jürgen Margref und Christian Dondera im Kader und Trainer war der beliebte Jürgen Röber. Am frühen Abend an Christi Himmelfahrt, dem 20.05.1993 brachte der erste Spieltag die favorisierten Teams direkt zueinander. An der Hafenstraße empfing der glorreiche RWE die Preußen vor über 20.000 Zuschauern. Und spielte wie entfesselt! Dabei waren die Preußen mit Torhüter Zdenko Miletic, Christos Orkas, Ralf Lewe und vor allem Ansgar Brinkmann wirklich nicht übel besetzt. Dazu kam mit Trainer Hans-Werner Moors, der schon bei RWE tätig war und Jürgen Serr, der erst vor der Saison ins Münsterland wechselte noch zusätzliche Brisanz ins Spiel. Auch wenn die Münsteraner nach der 2:0-Führung der Rot-Weissen zum Anschlusstreffer kamen, geriet der Sieg nie in Gefahr und so ging es mit gehörigen Selbstvertrauen am Sonntag darauf nach Herzlake.

Es war zum rot-weissen Konvoi aufgerufen worden und am Stadion sammelten sich hunderte Autos, die sich zusammen mit einem Bus des RWE-Fanclubs auf den Weg machten. Auf der Autobahn verteilten sich die Fahrzeuge mit eingeschalteter Warnblinkanlage über alle Spuren und juckelten hinter dem an der Spitze fahrenden Bus her. Die A31 war damals noch nicht lückenlos und endete bei Ochtrup. Von dort zog sich dann ein endloser RWE-Wurm über die Dörfer und brachte die Anwohner zum Staunen. Gut 2.000 Rote hatten es ins kleine, aber wirklich feine Hasetalstadion geschafft, dass mit 6.500 Zuschauern aus allen Nähten platzte und bis heute Rekordbesuch für ein Heimspiel des VfL Herzlake ist. Und der Underdog brachte die Gäste auch gehörig ins Schwitzen. Zwar konnte der Führungstreffer des VfL in der zweiten Halbzeit ausgeglichen werden, aber der gewonnene Punkt fiel in die Kategorie ‚glücklich‘. Vorbereiter für den Ausgleichstreffer war Achim Reichel, Ex-Bundesliga-Profi des KSC, der erst kurz vor dem Ende der regulären Oberliga-Saison verpflichtet worden war.
Die Personalie Reichel sollte noch für erhöhten Puls im rot-weissen Lager, denn nach dem Spiel in Herzlake hieß es plötzlich, dass keine Spielberechtigung vorgelegen hätte. Der VfL legte natürlich Protest ein und RWE setzte Reichel zur Vorsicht nicht weiter ein. Einige Tage später kam dann Entwarnung vom DFB, dass Rot-Weiss kein fehlerhaftes Handeln nachzuweisen sei. Reichel wurde vorsichtshalber dennoch nicht mehr aufgestellt und kam daher nur zu zwei Einsätzen im Dress des Deutschen Meisters von 1955. Für die Aufstiegsrunde wurde auch noch der vereinslose Oliver Pagé, der in Leverkusen und Dresden Bundesliga-Erfahrung gesammelt hatte, verpflichtet. Einen Vertrag für die folgende Spielzeit lehnte Pagé ab und wurde stattdessen Priester einer Freikirche. Klingt merkwürdig, war aber so. Pagé fand aber auf Umwegen zurück ins Fußballgeschäft und ist heute Leiter des Nachwuchs-Leistungszentrum von RWO. Und dann war da noch Olivier Djappa, der ebenfalls für die Aufstiegsrunde aus Kamerun verpflichtet und als Top-Stürmer vermeldet wurde. Djappa spielte in dieser Aufstiegsrunde wenig, blieb aber eine weitere Saison. Aber so richtig wurden RWE und Djappa nicht warm miteinander und er zog von dannen. Bezeichnend, dass er in den folgenden Jahren zunächst in Fulda und dann in Reutlingen reichlich die gegnerischen Netze beulte.

Der dritte Spieltag der Runde führte die Roten in die alte Römerstadt. An dieses torlose Spiel an einem Samstag-Nachmittag im Moselstadion habe ich wenig Erinnerung, außer dass es brütend heiß war und dass wieder eine stattliche Anzahl an Essenern auch zu diesem Spiel gereist war. 14.000 Zuschauer sorgten für eine Rekordkulisse an der Mosel. Markus Osthoff, dem noch erfolgreiche Jahre an der Wedau bevor standen, war damals der Top-Stürmer bei der Eintracht. Außerdem verbrachte Jürgen Mohr den Karrieren-Spätsommer an der Mosel und Mathias Hamann, Bruder von Didi Hamann, spielte ebenfalls in Trier. Zur damaligen Zeit bestand meine Rot-Weiss-Clique aus meiner Schwester und Ihrer besten Freundin, sowie meinem besten Freund. Wir hatten für das Wochenende Quartier bei unseren Verwandten in der Nähe von Wittlich aufgeschlagen und daher eine kurze An- und Abreise. Unser Verwandter aus der Eifel war damals einer der maßgeblichen Sponsoren des FSV Salmrohr, der als Dorf-Club ja einige gute Jahre erlebte. Da die Trierer Eintracht und der FSV erkannt hatten, dass die Region nur einen ambitionierten Verein verträgt, waren beide Clubs ein Jahr zuvor eine Kooperation eingegangen, deren Priorität natürlich auf der Eintracht lag. Nach einem Heim- und zwei Auswärtsspielen standen die Roten also nach der damals noch gültigen Zwei-Punkte-Wertung mit 4:2 Zählern vor den folgenden beiden Heimspielen sehr gut da.
Die Rückserie dieser Gruppe wurde in umgekehrter Abfolge gespielt, daher stellte sich die Eintracht nur vier Tage nach dem torlosen Remis an der Essener Hafenstraße vor. 14.800 Zuschauer sahen eine souveräne Essener Mannschaft, die nie einen Zweifel daran ließ, wer als Sieger vom Feld gehen würde. Das ungefährdete 3:0 war wohl das nervenschonendste Spiel dieser Aufstiegsrunde. Zum vorletzten Spiel und letzten Heimspiel kam am darauf folgenden Sonntag der mittlerweile chancenlose VfL Herzlake nach Essen. Einfache Nummer sollte man meinen und so waren offenbar alle, die gegen Trier schon da waren, erneut gekommen. Lediglich 100 Leute schienen verhindert, denn 14.700 Personen füllten die Ränge, darunter allerdings auch eine Busladung aus dem Emsland. Die Gäste waren aber offenbar nicht bereit nur die Statisten bei einer Spaßveranstaltung zu geben und gingen früh in Führung. Der Schreck saß. Und zwar so tief, dass der supersichere Elfmeter-Schütze Lipinski die Chance zum Ausgleich mit einem verschossenen Strafstoß liegen ließ und erst Pickenäcker den Gleichstand mit einem weiteren Elfer herstellte. Danach hatten die wirklich tapfer für ihre Ehre kämpfenden Gäste nichts mehr entgegen zu setzen. Auch wenn die wilde Fahrt erst in der zweiten Hälfte abging. Drei Eier legten die Roten dem VfL noch ins Nest, unter anderem ein kurioses Ding, als der Gäste-Schnapper Goran Curko den angreifenden Olli Grein austanzen wollte, aber letztlich nur ein Tänzchen mit sich selber hinbekam und der Haken-Olli die Kugel quasi nur noch ins leere Gehäuse schieben musste.
Für den Serben Curko war Herzlake die erste Station in Deutschland und das Sprungbrett für dir Profi-Karriere. Ich habe Curko aber eigentlich nur aus Bielefeld in Erinnerung, wo er nach unterirdischen Leistungen von den eigen Fans fortlaufend mit Schmährufen bedacht wurde und daraufhin mitten im Spiel einfach vom Platz ging. Eigentlich hatten alle gehofft, der Aufstieg könnte mit einem Heimsieg in trockenen Tüchern sein, aber die Preußen blieben dran und gewannen ihr vorletztes Spiel in Trier, es sollte also zum Showdown in Münster kommen. Die VfL-Spieler lagen erschöpft auf dem Rasen und nachdem die Roten für den klaren Sieg ausgiebig gefeiert worden waren, hörte man schon vereinzelte VfL-Rufe von Essener Seite, die immer lauter wurden und die Gäste-Spieler wurden letztlich zu einer Ehrenrunde bewegt. War ja grundsätzlich auch eine sympathische Truppe und daraus entstand für ein paar Jahre tatsächlich eine kleine Fanfreundschaft. Die kleine Szene des VfL war immer mal wieder an der Hafenstraße zu Gast und umgekehrt fuhren Essener Abordnungen ins Emsland. Das endete als der VfL nach ein paar Jahren aus finanziellen Gründen den Rückzug auf Kreis-Ebene antreten musste, als sich der jahrelange Mäzen, ein Möbelhersteller, zurückzog. Heute hat sich der der Verein auf Bezirksebene etabliert. Mehr ist für Provinz-Vereine in heutiger Zeit auch einfach nicht realistisch.

Am Sonntag den Juni 1993 fand also das entscheidende Spiel zwischen Preußen Münster und Rot-Weiss Essen statt. Ich kann mich nicht erinnern, besondere Nervosität verspürt zu haben. Die Roten hatten bisher eine starke Runde gespielt, allerdings auch auswärts weniger überzeugt als daheim. Dennoch – der Druck lag bei den Gastgebern, da dem RWE ein Unentschieden genügt hätte. RWE hatte 8:2 Punkte auf dem Konto, Preußen 7:3. Jürgen Serr hatte die Stimmung noch unnötig mit unsensiblen Äußerungen angeheizt und die Rot-Weissen damit wahrscheinlich zusätzlich motiviert. 3.000 Tickets hatten die Münsteraner nach Essen gesendet, natürlich viel weniger als Nachfrage bestand. Unter den 21.000 Zuschauern im alten Preußen-Stadion an der Hammer Straße waren dann trotzdem über 8.000 Essener Anhänger, manche Quellen geben sogar 10.000 an. Keine Ahnung wie viele Rote es wirklich ins Stadion geschafft hatten, aber es waren definitiv viele!
RWE startete in die Partie, wie es besser nicht hätte sein können. Nach vier Minuten stürmte Dondera mit der Kugel über das halbe Feld und wurde regelwidrig gestoppt. Ein Fall für Harry Kügler, der den fälligen Freistoß aus über zwanzig Metern ins untere rechte Toreck drosch. Ich meine, dass dann lange Zeit nicht viel zwingendes passierte. Es gab ein paar Chancen hüben und drüben, aber die Preußen schienen mit dem noch höheren Druck nicht recht umgehen zu können und die Roten brauchten ja nach vorn eh kaum was machen. Nach einer Stunde hatten die Münsteraner ihre größte Chance zum Ausgleich, als der Ball gegen den Pfosten prallte und der Nachschuss nicht genutzt wurde. Als eine Viertelstunde vor dem Ende Olli Grein eine abgefälschte Flanke von Thomas Ridder einköpfte, war das der Todesstoß für die Gastgeber. Kurz danach erzielte Dondera das 3:0 und der Drops war endgültig gelutscht, der Fisch gegessen, die Wiese gemäht, der Sack zu, die Kuh vom Eis! Den Ehrentreffer kurz vor dem Schlusspfiff nahm kaum einer wahr und mit dem letzten Pfiff der Saison ergoss sich die rot-weisse Masse auf den Rasen des Preußen-Stadions. Soweit ich mich erinnere blieb aber alles weitestgehend friedlich und als man sich vor Ort genug ausgetobt hatte fuhr der ganze Haufen zurück zu Hafenstraße, wartete dort auf die Mannschaft und die Party ging in die zweite Runde.
Ich hab mit meinem Fahrstuhlverein ja nun schon einige Aufstiege erlebt, genau gesagt sieben. Aber dieser Aufstieg im Jahr 1993 ist der, der mir am nachhaltigsten und am liebsten in der  Erinnerung geblieben ist. Das Gesamtpaket stimmte einfach und der Zusammenhalt innerhalb der Mannschaft und die Interaktion mit der Kurve war großartig. Letztlich war der Aufstieg auch einfach nur verdient, da die Roten ihre Gruppe mit 10:2 Punkten und 15:4 erzielten Toren ohne Niederlage eindrucksvoll beherrschten. Nur der RWE!