Freitag, 26.07.2019, 19:30

deutschland

Rot-Weiss Essen vs BV Borussia Dortmund U23 2:1

Stadion Essen, 14.497 Zuschauer, Regionalliga West

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Ganze fünf Spiele der Roten hatte ich in der vergangenen Rückrunde gesehen, das letzte Anfang April, ebenfalls gegen die Back-up-Truppe des BVB. Und nach der wieder mal enttäuschenden Saison und dem Fußball zum Abgewöhnen unter Trainer Carsten Neitzel, ohne jeden Sieg in den letzten acht Pflichtspielen, hatte ich mir nun vorgenommen, die Hafenstraße erst einmal zu meiden und vor allem kein Spiel zu besuchen, bei dem Herr Neitzel noch das Amt der Trainierers inne hat. Nun ja, Neitzel wurde seines Amtes zwei Wochen nach Saisonende enthoben, so dass diese K.O.-Voraussetzung schnell eliminiert war und mit Christian Titz wurde ein leidlich prominenter Mann an die Linie gestellt. Außerdem fand der große Umbruch statt. Alte Zöpfe wurden abgeschnitten und damit Zeichen gesetzt. Mit jeder Spielerverpflichtung wuchs das Interesse wieder und schlussendlich war es vor dem 1.Spieltag wie immer – ich hatte Bock!! Auch wenn ich da keine Illusionen mehr habe. Meine Erwartungshaltung ist gering und der Glaube an eine erfolgreiche Spielzeit quasi nicht mehr existent. Aber was halt im Untergrund immer wieder schwelt, ist die Hoffnung, die ja zu jedem Saisonbeginn wieder stärkere Keime treibt. Und die in den letzten Jahren in der Regel nach dem ersten Saison-Drittel durch die mäßig talentierten Kicker wieder nachhaltig kaputt getreten wurde. Mal sehen, was die neue Spielzeit für Enttäuschungen zu bieten hat. Fast 15.000 Leute bildeten eine großartige Kulisse und zeigten, welche Begeisterung durch die Veränderungen erneut provoziert wurde. Die Anfangsphase war nur kurz von gegenseitigem Respekt geprägt, dann übernahmen – am Alter gemessen – erstaunlich abgeklärte, disziplinierte und körperlich präsente Gäste die Initiative. Zwei wegen Abseitsstellung aberkannte Treffer der Dortmunder kann ich nicht verlässlich kommentieren, da ich vom Geschehen zu weit weg war. Große Proteste gab es zwar nicht, aber knapp war es wohl auf jeden Fall. Ein drittes Mal schlug die Kirsche dann ein und dieses Mal zählte der Treffer. Chancen für den RWE, der nicht unbedingt schlecht agierte und eher von starken Borussen in der Entfaltung behindert wurde, waren Mangelware. Der BVB-Nachwuchs ging mit einer verdienten Führung in die Pause. Das Titzsche Spielsystem bindet ja den Torhüter ein, der bei Ballbesitz weit aufrückt und sich mit dem Ziel, eine Überzahl zu schaffen, als zusätzliche Anspielstation anbietet. Eine riskante Nummer, die ich kritisch sehe, die aber am heutigen Tage keine nachteilige Wirkung hatte.
Die Roten kam mit neuem Mut aus der Kabine und übernahmen das Zepter, da der BVB nun auch die Gebietsansprüche des ersten Durchgangs vermissen ließ. Das Feld wurde – eigentlich unerklärlich – weitestgehend den Gastgebern überlassen. Großartige Torgefahr wurde dennoch nicht herauf beschworen, der Glaube beim Publikum schwand und die Nachwuchs-Borussen bekamen eine Viertelstunde vor dem Ende die große Chance, den Deckel drauf zu machen. So endete die Partie mal wieder typisch rot-weiss, da vor großer Kulisse, die Chance eine breite Euphorie loszutreten, nicht genutzt und stattdessen eine Heim-Pleite zum Saisonauftakt kassiert wurde. Das hätte der Schlusssatz sein können. Der BVB nutzte aber die angesprochene Konterchance nicht und fünf Minuten später gab es auf der Gegenseite eine aussichtsreiche Freistoßchance aus halblinker Position. Lange habe ich an der Hafenstraße keinen direkten Freistoß mehr einschlagen sehen, aber Neuzugang Condé, von Wolfsburgs Nachwuchs gekommen, erledigte das eindrucksvoll. Der irgendwie doch unerwartete Ausgleich war gefallen und als ich in der Nachspielzeit meinen Kollegen mitteilte, dass ich mit dem Remis gut leben kann, da es sich wie ein Sieg anfühlte, segelte ein letzter langer Ball in den schwarz-gelben Sechzehner. Einen dem Spielgerät entgegeneilenden Marcel Platzek und einen ungeschickten Körperseinsatz eines BVB-Verteidigers später, pustete der Referee in die Piepe und zeigte tatsächlich auf den ominösen Punkt. Elfmeter! Für Rot-Weiss! In der Nachspielzeit! Bedingt durch die vielen Negativ-Erlebnisse der letzten Jahre, erwartete man derartiges doch eher andersrum. Meine angeborene Skepsis über die Wahrscheinlichkeit der erfolgreichen Umsetzung der anspruchsvollen Aufgabe wischte der aus Homburg verpflichtete Alexander Hahn unfassbar selbstsicher mit einem trockenen Schuss ins linke untere Eck vom Rasen! Schluss, Ende, Aus – der Spielleiter pfiff gar nicht mehr an und drei unfassbar glücklich erlangte Punkte blieben an der Hafenstraße. Hammer, was nun eine Stimmung in der Bude herrschte, überhaupt in der Schluss-Viertelstunde. Dabei war, vor allem aus meiner Perspektive, dem Away-Sektor näher als der Westkurve,  über weite Phasen nur der gut 1.500 Köpfe starke Gäste-Anhang zu hören. Der rot-weisse Anhang hatte stark begonnen. Es war zum Fahnentag aufgerufen worden, was ein von mir persönlich sehr geliebtes, wildes Kurvenbild ergibt, und zwei große motivierende Spruchbänder schworen die rot-weisse Elf ein. Eins davon, über die gesamte Länge der Rahn-Tribüne gespannt, lautete: Niemals aufgeben! Wer hätte vor dem Spiel geahnt, dass dieser Slogan so schnell an Bedeutung gewinnen würde. Laut war es während der Anfangsphase, aber nach einer halben Stunde wurde es immer ruhiger und während der zweiten Spielhälfte habe ich mich zwischendurch gefragt, ob etwas vorgefallen war und der organisierte Ultra-Support daher eingestellt wurde. Dass die Hafenstraße nur noch selten zu einer echten Support-Hölle mutiert, ist ja kein Geheimnis, und auch in diesem Falle konnte das heute vielköpfige Potential über eine lange Phase offensichtlich einfach nicht mobilisiert werden. Anspannung wohl zu groß, habe keine andere Erklärung. Oder ich selber war zu angespannt oder hatte zu tief und zu oft in den Stauder-Becher geschaut und daher einfach nix mehr richtig wahrgenommen. Am Ende ist das alles scheißegal – was zählt ist der Sieg, auch wenn man meinen könnte, dass das gesamte Saisonglück schon in einer einzigen Partie verbraucht wurde. Dieser Last-Second-Win muss nicht, aber kann etwas lostreten. Eine Eigendynamik wie vor einigen Jahren in der NRW-Liga-Saison nach dem insolvenzbedingten Zwangsabstieg. Die Wortkreation ‚Thammsche Initialzündung‘ machte schon die Runde, denn Verteidiger Alexander Thamm war es, der damals nach richtig guter Teamleistung im ersten Saisonspiel in der Schlussphase quer in der Luft lag und mit einem Traumtor den Sieg bescherte. Ich will den Erfolg gegen den BVB nicht überbewerten, aber für die Moral und den Glauben an ein Ziel (das ja eigentlich nur ‚Orientierung nach oben‘ heißt, aber remember: Stichwort Hoffnung) war der Erfolg ein absolutes Schmiermittel. Ich bin gespannt!