Mannheim – So., 21.04.2024, 13:30

SV Waldhof Mannheim 07 vs Rot-Weiss Essen 0:2

Carl-Benz-Stadion, 14.764 Zuschauer, 3.Liga
Auf ein Auswärtsspiel in Mannheim darf man sich durchaus freuen. Waldhof ist Oldschool, Waldhof ist dreckig, Waldhof ist asozial. Es erinnert durchaus an Essen, Mannheim ist der Ruhrpott Süddeutschlands und aus meiner Perspektive sind sich die Anhänger beider Clubs näher als sie zugeben würden. Früh morgens aus Bergamo an den erschreckend verwaisten Baden-Airport eingeschwebt, ging es mit dem Airport-Shuttlebus zum Bahnhof Rastatt und von dort mit dem deutschen Vorzeige-Schienenverkehrsdienstleister mit Umstieg in Karlsruhe nach Mannheim. Einmal den Magen beim türkischen Frühstücksbuffet vollgeschlagen und dann ab zu Kalle Benz seinem Stadion, wo ich auf die Gefährten traf. Und wenig später wieder verließ, denn ich hatte mich entschieden heute mal auf den Besuch des Away-Sektors zu verzichten, um mal eine andere Perspektive zu haben. Am Ende war es anstrengend und in zwei, drei Situation war ich kurz davor die Selbstkontrolle zu verlieren und ein schmerzhaftes Outing zu erfahren, denn es stellte sich schnell heraus, dass mein Umfeld für mein Experiment nur bedingt geeignet war. Dass mein Verein polarisiert und bei den meisten gegnerischen Fanszenen auf tiefe Abneigung stößt, ist ja kein Geheimnis, gerade bei den Baracklern sollte das aber mit Verweis auf oben skizzierte Verwandtschaft im Geiste eigentlich nicht so sein. Umgekehrt finde ich den Waldhof jedenfalls eher sympathisch. War aber eben aus Blickrichtung schwarz-blau mal so gar nicht der Fall. Was da an Sprüchen unter der Gürtellinie kam, war teils tiefer Straftatbestand, und die Verhaltensweisen des Pöbels, machten schnell klar, dass etwaige meine Gesinnung entlarvende Äußerungen oder gezeigte Emotionen problematisch werden könnten. „Ruhrpott-Juden“ war da noch am harmlosesten. Bei der mit entsprechendem Tonfall geäußerten Hoffnung, irgendwo in der Stadt mit 100 Waldhof-Leuten auf einen Rot-Weissen zu treffen, um diesen dann „ins Jenseits zu stiefeln“, erwischte ich mich bei dem Gedanken, dieser eine besser nicht sein zu wollen.
Es soll keine Moralpredigt sein und die derben Sprüche schockten mich ja letztlich auch nicht wirklich. Ich war ja auch vorher schon mal beim Fußball, aber teilweise war das echt zum Fremdschämen. Bei der Überlegung, ob ich mich an der Hafenstraße in emotionalen Situationen wohl auch so verhielte, konnte ich das klar verneinen – für meine Person besteht also offensichtlich noch Hoffnung. Fußball ist kein Bällchenbad und ich lege am Eingang auch die guten Sitten ab, aber das war einfach unterste Schublade. Beim vermeintlichen Ausgleichstreffer rastete mein Nebenmann derart aus, dass er sich gar nicht lange mit der Freude über den Treffer aufhielt, sondern sich einfach mit gestrecktem Mittelfinger und irrem Blick am rot-weissen Anhang im Stakkato wild „Ihr Wichser!!“ schreiend abarbeitete. Und zwar so hingebungsvoll, dass mein wohlwollend gemeinter Hinweis auf die Abseitsposition des Waldhof-Stürmers auch erst nach der fünften Wiederholung realisiert wurde und er sich dann wortlos ernüchtert abwandte. Der RWE-Anhang startete mit einer zweigeteilten Geburtstags-Choreo zum 15jährigen Bestehen der „Rude Fans“. Zuerst wurde ein Meer von kleinen Fähnchen mit RWE-Logo geschwenkt und dann noch eine Blockfahne hochgezogen. Die ‚Ultras Mannheim‘ stürmten nach Problemen beim Einlass – im Eingangsbereich hatte sich zunächst eine Polizeieinheit in Kampfausrüstung positioniert, was die Waldhof-Ultras zum vorrübergehenden Boykott animierte – erst mit Spielbeginn in den Block. Der glorreiche RWE spielte eine starke Anfangsviertelstunde mit der Chance zur Führung, aber dann kam der Waldhof in die Partie und erarbeitete sich ebenfalls Möglichkeiten. Kurz vor dem Seitenwechsel gingen die Roten aber nach einem Durcheinander im Barackler-Strafraum in Folge eines Freistoßes in Führung.
Doch der SVW hatte direkt die Gelegenheit zum Ausgleich, aber Wintereinkauf Terrence Boyd, der den für Golz schwer zu haltenden Ball im Nachschuss über die Linie brachte, stand bei der Schussabgabe seines Kollegen im Abseits, so dass der Treffer nicht zählte. Das ging aber im tosenden Jubel erst einmal unter, was natürlich die Stimmung bei den Umsitzenden anfeuerte. Mein Vordermann beharrte darauf, dass es niemals Abseits gewesen sein könne, weil der Ball ja „vom Tormann kam“…. nun ja, was will man da noch sagen?! Nach dem Seitenwechsel wurde es schnell ein Spiel mit offenem Visier und der Waldhof drückte. Zwar wurden die Roten nicht gerade eingeschnürt und kombinierten sich selber immer wieder clever in Richtung Angriffszone, aber die besseren Möglichkeiten hatten die Gastgeber. Aber irgendein Abwehrbein, der wieder bärenstarke Golz, und Unvermögen der Mannheimer konnten den Ausgleich mehrfach verhindern. In der Schlussminute wurde der Ball dann nach einem schlecht ausgeführten Waldhof-Freistoß am Barackler-Sechzehner gewonnen werden und der nur 17 Sekunden vorher eingewechselte Leo Vonic traf zur Entscheidung. Nahe der Waldhof-Kurve eine Jubeltraube zu bilden, erwies sich als schlechte Idee, denn Voelcke bekam irgendeinen Gegenstand vor die Runkel und ging zu Boden, konnte aber nach kurzer Behandlung weiter machen. Mit dem Auswärtssieg besteht weiter die Option nochmal in den Kampf um Platz drei einzugreifen. Man fühlt, dass der RWE-Anhang mit der Saison zufrieden ist, Mannschaft und Fans bilden eine echte Symbiose. Alles was jetzt noch kommt ist Bonusmaterial, vielleicht ist die Unbefangenheit ein Trumpf, mit dieser kann aber auch mindestens der Mitbewerber aus Münster aufwarten. Coach Dabro bleibt für mich ein Rätsel. Irgendwie scheint der aktuell alles richtig zu machen, dabei gibt es in Sachen personeller Aufstellung und Auswechselungen immer noch Luft nach oben. Taktik und im Laufe eines Spiels erforderliche Systemumstellungen scheinen aber aktuell perfekt gewählt, in diesem Bereich hat er massiv an Erfahrung gewonnen. Ich bleibe weiterhin entspannt gespannt.