Edinburgh – Mi, 09.07.2025, 19:00

Hibernian FC vs Rot-Weiss Essen 3:2

Easter Road Stadium, 12.622 Zuschauer, Testspiel
„Und irgendwann, irgendwann einmal, spielt Rot-Weiss Essen internationaaaal“ – dieser Kurven-Chant kam mir in den Sinn, nachdem Anfang Februar bekannt wurde, dass der glorreiche RWE zum 150jährigen Vereinsjubiläum des Hibernian FC aus Edinburgh eingeladen wurde. ‚Hibernia‘ ist übrigens der lateinische Name Irlands, denn der Club wurde wie der Celtic FC aus Glasgow von irischen Einwanderern gegründet. Die Hibs waren im Jahre 1955 der Gegner des frisch zum Deutschen Meister gekürten RWE im erstmals ausgetragenen Europapokal der Landesmeister. Nach einem 0:4 im Hinspiel an der Hafenstraße und zumindest einem respektablen 1:1 an der Easter Road war dann schon in der ersten Runde Schluss für die Roten. Im Jahr 2005 trafen beide Clubs dann in Essen in Freundschaft aufeinander, 50 Jahre nach den Duellen im Europa-Cup. Zum verbal versprochenen Rückspiel kam es dann aber nie. Dass es nun letztlich doch Realität wurde, ist herausragend, auch wenn das Spiel nicht mehr im kausalen Zusammenhang zum ‚Friendly‘ von 2005 steht. Nur zehn Minuten nach Bekanntwerden der Ansetzung, hatte ich die Flüge gebucht, denn man konnte ja erahnen, dass sich die Reise großer Beliebtheit erfreuen und damit die Flugpreise sicherlich schnell zugunsten der Airlines beeinflussen würde. In den Wochen und Monaten vor dem Spiel wurde dann mehr und mehr klar, dass eine stattliche Anzahl von Rot-Weissen den Weg in die schottische Hauptstadt antreten wird.
Ein erstes Kontingent von etwas mehr als 2.000 Gäste-Tickets, das Anfang Mai in den Verkauf ging, war binnen 48 Stunden vergriffen, so dass eine Nachlieferung von der Insel notwendig wurde. 2.200 Anhänger des glorreichen RWE machten sich letztendlich auf den Weg in den Norden Britanniens. Zu sechst schwebten wir am Vorabend des Spieles in die schottische Hauptstadt ein und gelangten mit dem ‚Airlink‘-Bus in die Stadt. Dort wurden die Brocken schnell ins ausgewählte, einfache Etablissement im West End geschmissen und dann der ausgerufene Treffpunkt ‚Grassmarket‘ angesteuert, wo sich die rot-weisse Gemeinde zum vorabendlichen Warm-up traf und die umliegenden Pubs in Beschlag genommen hatte. Mit (zu viel) Guinness und Live-Musik, war das dann ein runder Abend, an den Weg zurück ins Nachtquartier habe ich jedenfalls nur auszugsweise Erinnerung. Nachdem der Spieltag dann mit einem ausgedehnten Scottish Breakfast eingeläutet worden war, machten wir uns auf eine kleine Sightseeing-Runde durch die Stadt und hoch auf den ‚Calton Hill‘ mit Ausblick auf die Stadt und den abendlichen Spielort.
Danach begaben wir uns in Ruhe wieder zum ‚Grassmarket‘, um uns mit ein paar Glücklichmachern aus dem Zapfhahn auf den Kick einzustimmen. Der Platz und die umliegenden Pubs füllten sich mehr und mehr und um halb fünf setzte sich die rot-weisse Meute im geplanten Marsch zum Easter Road Stadium in Bewegung. Joa, ich glaube das hat schon Eindruck bei den Einheimischen und auch den ganzen Touris hinterlassen, denn diesen fielen ja beinahe die Augen aus dem Kopf und der Ruhrpott-Tross entpuppte sich als äußerst gefragtes Foto- und Video-Motiv. Mit entsprechendem Spektakel wurden die knapp dreieinhalb Kilometer in eineinhalb Stunden erledigt. Die den Triumphzug begleitenden Polizeikräfte hielten sich angenehm im Hintergrund und waren nullkommanull aufgeregt ob ihrer fremden Gäste. So geht es also auch, da können die deutschen Kiberer ordentlich von lernen, aber in unserer feinen Republik gibt es halt in der Förstertruppe auch zu viele Provokateure, welche die Einsätze beim Fußball nutzen, um ihre Aggressionen abzubauen, wenn sie mal wieder von der eigenen Frau verprügelt worden sind.
Der RWE-Anhang machte sich im zugewiesenen Unterrang des ‚South Stand‘ breit. Die aktiven Supporter und Ultras der ‚Hibees‘ haben ihren Platz auf dem ‚North Stand‘. Dieser blieb aber zum heutigen Spiel leider geschlossen und die Heim-Szene um die ‚Block Seven Ultras‘ trat nicht geschlossen auf. Daher kam es auch nur selten zu ein paar vereinzelten, kurzen Chants, die man aber ob der eigenen Lautstärke eher erahnen denn hören konnte. Die Ultra-Gruppen des glorreichen RWE hatten Material für eine Choreo in den Norden Großbritanniens geschafft. An den Balustraden von Ober- und Unterrang prangte in fetten Lettern „Rot-Weiss Essen international“ und „Wie einst der Opa mit Dir durch Europa“. Die Tribüne wurde dann mittels Stangen-Luftballons in die Vereinsfarben geteilt und knapp zwei Dutzend Fackeln gezündet. Das war optisch schon mal ein angemessener Auftakt und was dann akustisch durch das Stadion schepperte, war zumindest in der ersten Hälfte allererste Sahne. Jeder hatte Bock, alle machten mit. Die Anhänger der ‚Hibs‘ waren mehr damit beschäftigt, Richtung Gästeblock zu staunen, als sich an ihrem im ersten Durchgang stark aufspielenden Team zu erfreuen. Dabei gab es dazu allen Grund, denn nach nicht einmal zwei Zeigerumdrehungen lag die Murmel zum ersten Mal hinter Jakob Golz im Netz. Über die linke Abwehrseite war es für die Deckung des RWE viel zu schnell gegangen. Golz konnte den ersten Schuss aus knapp zehn Metern und zentraler Position noch abwehren, der Nachschuss beulte dann aber das Netz.
Der rot-weisse Sanges-Mob ließ sich davon nicht beirren und gab weiter Vollgas, daran änderte auch der zweite Treffer für die Grün-Weißen nur zehn Minuten später nichts. Ich hoffte nur inständig, dass diese Schlagzahl sich nicht fortsetzte, ein Debakel konnte hier ja auch niemand brauchen. Dem war dann auch nicht so, die Kämpen in den schönsten Farben bissen sich in die Partie und konnten die ‚Hibs‘ nun weitestgehend vom eigenen Tor fernhalten, traten selber offensiv aber auch nur zwei Mal gefährlich in Erscheinung. Mit einer komplett anderen Elf kam der RWE aus der Kabine und die machte es irgendwie besser. Mit dem ersten Angriff gelang der Anschlusstreffer. Mizuta hatte sich auf dem linken Flügel durchgesetzt und den Ball flach und scharf nach innen gebracht, so dass Martinovic die Kirsche nur noch über die Linie drücken müsste. Und genau dieser Martinovic glich den Spielstand fünf Minuten später nach einer Einzelleistung mit einem Schuss vom Sechzehner ins kurze Eck aus. Nun war es ein offener Schlagabtausch. Die Hibs testeten mal das Aluminium und nutzten dann eine kurze Phase der Überlegenheit zur erneuten Führung.
Drei Minuten vor dem Ende wurde Müsel im Strafraum gelegt und es bot sich die große Gelegenheit, ein mittlerweile nicht mehr erwartetes Remis zu erreichen. Der Gefoulte nahm sich selbst das Leder, schüttelte erst Mizuta und dann Martinovic ab, die beide um das Spielgerät ersuchten, und verschoss dann souverän. Der Keeper der Hibees hatte die Ecke geahnt und den nicht sehr hart geschossenen Ball aus dem unteren Toreck gekratzt. Nicht tragisch, denn die Roten hatten sich mehr als achtbar aus der Affäre gezogen. Keine Ahnung ob es daran lag, dass die erste Hälfte bei den Anhängern viel Kraft gekostet hatte oder dass sich die Capos zwischendurch darauf versteiften, ein auf die Reise bezogenes Lied durchzuboxen, dessen Text bei den meisten Leuten außerhalb der Ultra-Gruppen einfach nicht saß, aber der Auftritt im zweiten Durchgang kam nach meinem Eindruck nicht mehr ganz an den Top-Support der ersten Halbzeit ran, blieb aber trotzdem auf hohem Niveau.
Nach dem Schlusspfiff kam zunächst die Heimmannschaft in die Gäste-Kurve, um Applaus zu spenden, welcher vom Gäste-Mob wohlwollend erwidert wurde, bevor auch die Anhänger der Hibs den Sahne-Auftritt des RWE-Mobs mit Applaus honorierten, welcher natürlich ebenfalls beantwortet wurde. Und schließlich kamen auch die Spieler in den schönsten Trikots der Welt zum Away-Sektor, um sich feiern zu lassen und der Nummer einen angemessenen Schlusspunkt zu verschaffen. Ein Hammer-Erlebnis Spiel fand so ein passendes Ende. Gemessen an den Kommentaren auf den sozialen Plattformen und auch in den Print-Medien hat der rot-weisse Anhang mächtig Eindruck hinterlassen und bei den schottischen Fußball-Fans sogar eine kleine Diskussion über die Fankultur im eigenen Land angestoßen. Der RWE hat einen sehr positiven Auftritt hingelegt und es schwingt natürlich etwas Stolz mit, dass man spätestens jetzt in Edinburgh weiß, wer Rot-Weiss Essen ist. Wie intensiv nicht nur ich, sondern wohl annähernd alle Mitgereisten dieses Erlebnis aufgesaugt haben, zeigt wie besonders diese Reise war. Es gibt halt zwei Dinge, die man sich nicht aussuchen kann – die Familie und den Fußballverein. Ich ordne diese Reise in die Top 5 oder sogar Top 3 der Erlebnisse mit dem RWE ein, da kann selbst der eine oder andere Aufstieg nicht mithalten. Etwas ausgelaugt und heiser schlurften wir zurück in die Stadt und genehmigten uns noch ein paar Kaltgetränke ehe es in die Unterkunft und für mich am Folgetag zurück in den Ruhrpott ging.