Mills Center – Mo., 24.03.2025, 16:00

Liberia vs São Tomé e Príncipe 2:1

Samuel Kanyon Doe Sports Stadium, 8.000 Zuschauer, WM-Qualifikation Gruppenphase
Um Viertel nach fünf war die Nacht vorbei und unser Fahrer Bobby stand überpünktlich schon vor 6 Uhr mit seinem vom Leben gezeichneten Toyota Camry vor dem Hotel-Tor. In der gerade aufkommenden Dämmerung starteten wir über weiterhin gute Straßen durch den Tropenwald, der nach einer regenreichen Nacht von Dunstschwaden durchzogen wurde. Einige Checkpoints gab es zu passieren, an denen es wie auf der gestrigen Fahrt immer wieder zur Krötenwanderung kam. Die Kröten unseres Chauffeurs wanderten in die Jackentaschen zwielichtiger Halunken, welche die Straße dann freigaben. Ein System das schwer zu durchschauen ist. Zwar mögen die Checkpoints offiziell sein, von den Mokeln die dort regierten, wirkte indes keiner so und offener kann Korruption ja auch kaum ablaufen. An diesem ständigen, gegenseitigen, in der Gesellschaft beinahe wie selbstverständlich akzeptierten Handaufhalten, bei dem ein Pfuscher den nächsten Mauschler bescheißt, scheitert am Ende ein ganzer Kontinent. Zwanzig Minuten vor Schrankenöffnung kamen wir im Grenzort Jendema an und nutzen die Zeit für ein kleines Frühstück. Dann ging es weiter zu den Grenz-Checkpoints. Auf Sierra Leonischer Seite mussten wir den Wagen nicht mal verlassen, die Grenz-Mafia ist gut genug organisiert, so dass irgendein Schmierlappen unaufgefordert den Gang zum Schalter für ein paar Leones übernahm. Die Liberianer nahmen es schon genauer. Zunächst ging die Fahrt über die ‚Mano River Bridge‘ und unmittelbar dahinter notierte Big Mama in ihrer wurstpellenartigen Uniform in einer kleinen Baracke die Ausweis-Daten. Weiter ging es zum Immigration-Desk, wo der ganze Kram erneut notiert und dann der Einreisestempel in den mit dem güldenen Adler geschmückten, weinroten Staatsangehörigkeitsbezeuger gerammelt wurde. Next Stop Zollkontrolle. Ein überalterter Beamter mit dem Blick eines Crystal Meth-Konsumenten ließ sich teilnahmslos unsere getragene Unterwäsche vorführen und dann war das Grenz-Gekasper nach insgesamt knapp 20 Minuten auch schon erledigt. Ich liebe es und hier war es ja auch echt easy, da gibt es an anderen Landesgrenzen des Planeten deutlich mehr Stress zu bewältigen. In der Vergangenheit sah es hier wohl auch anders aus, aber nachdem ein Influenzer ein Video auf Youtube veröffentlicht hatte, wurde wohl Personal ausgetauscht und der Korruption zumindest an diesem Grenzübergang Einhalt geboten.
Nach ein paar Kilometern erfuhren wir noch mal eine Prüfung des Einreisestempels, damit auch keiner einfach so durchrutscht und dann ging es weiter nach Monrovia. Liberia zeigte sich wenig überraschend genauso grün wie Sierra Leone. Der Zustand der Straßen konnte dagegen nicht mit denen Sierra Leones mithalten. Die ersten 60-70 Kilometer waren noch ähnlich gut, dann verwandelte sich die Route aber in eine Teppich aus tiefen Schlaglöchern und teilweise fehlte der Asphalt sogar auf mehreren hundert Metern komplett, so dass regelmäßig in das unbefestigte Bankett neben der Straße ausgewichen wurde, da dieses teilweise einfach angenehmer zu befahren war. Normaler Ausstiegsort in Monrovia ist der ‚Duala Market‘, ein unübersichtlicher Ameisenhaufen, der für Auswärtige schwer zu durchschauen ist. Dieses Chaos ersparten wir uns, indem wir Bobby baten uns gegen einen kleinen zusätzlichen Obolus bis zur Unterkunft in der östlichen Peripherie der Stadt zu bringen. Das bedeutete, die knapp zwei Millionen Einwohner starke Metropole komplett zu durchqueren, was aufgrund der Verkehrslage deutlich mehr als eine Stunde dauerte, bis wir am ‚Tropicana Beach Resort‘ eintrafen, in dem auch der über Ghana angereiste Teil der Reisegruppen abgestiegen war. Das Resort direkt am Meer stellte sich als durchaus brauchbar heraus. Die offene See hatte eine schöne Brandung, leider wird vom Baden im Meer abgeraten, da wie an der ganzen Küste des guineischen Golfes gefährliche Strömungen herrschen. Beinahe sinnbildlich für diesen Kontinent. Die Zeit reichte noch, um zwei Biere durch die von der Fahrt vollgestaubten Kehle zu senden und dann mussten wir zum Stadion aufbrechen. 
Der Zufall wollte es, dass gerade zwei arabisch aussehende Typen in ihr Auto stiegen, libanesische Expats wie sich herausstellte, die uns freundlicherweise entgegen ihrer Zielrichtung die etwa fünf Kilometer zum Stadion fuhren. Das Stadion liegt nicht direkt in Monrovia sondern in Mills Center, einem der Orte, die mit Monrovia zu einer Metropolregion zusammengewachsen sind. Als wir Bleichgesichter dort aufschlugen war natürlich wieder Voll-Alarm. Der Ticketverkauf gestaltete sich unübersichtlich, da dieser über mehrere fliegende Händler lief, und einer hatte natürlich bessere Tickets als der andere. In solchen Situationen tue ich ja immer bewusst desinteressiert und gehe erstmal einige Meter zur Seite, bis sich der Blutdruck der anwesenden beruhigt hat und wähle dann einen unaufdringlichen Verkäufer. Wenn man einen jungen Hund vom Züchter kauft, soll man ja auch nicht den nehmen, der sofort angerannt kommt und nach Aufmerksamkeit sucht. Für zehn US-Dollar erwarben wir VIP-Tickets, die für den überdachten Bereich der Haupttribüne gültig waren. Wir umrundeten das Stadion und trafen in einer Bar auf dem Stadiongelände mit den Gefährten zusammen, die bereits am Samstag eingetroffen waren, bevor wir die betagte Schüssel betraten. Das ‚Samuel Kanyon Doe Stadium‘ ist noch ein Stadion alter afrikanischer Schule. Eine Laufbahn haben ja die meisten großen Stadien Afrikas, auch die neu erbauten, wofür ja in der Regel die Chinesen zuständig sind.
Dieser Oldschool-Ground wurde zwar nicht von diesen erbaut, aber zumindest soweit aufgemöbelt, dass es vom afrikanischen Verband die Zulassung für die Durchführung von Pflicht-Länderspielen erhielt. Ellen Johnson Sirleaf, eine ehemalige Präsidentin Liberias, soll einmal gesagt haben, die Chinesen seien in Afrika so stark, weil Europa nicht präsent ist. Das dürfte großenteils stimmen, denn die europäischen Länder sind zu zögerlich und zu passiv, um in Afrika Einfluss zu gewinnen und haben den Kontinent längst an China und ja inzwischen zum Teil auch an Russland verloren. Gut besucht war die Veranstaltung erst einmal nicht, was wir auch nicht erwartet hatten. Schon das Heimspiel gegen Tunesien am letzten Mittwoch war – da allerdings eher überraschend – schwach besucht. Da dieses verloren ging und die WM-Hoffnungen Liberias damit einen satten Dämpfer erfahren hatten, war nun heute auch nicht mit dem großen Run zu rechnen. Vielleicht 4-5.000 Besucher hatten sich im weiten Rund eingefunden. Kurz nach Spielbeginn setzte sich plötzlich die Meute aus dem Nachbarblock in Bewegung und überkletterte  den recht hohen Maschendrahtzaun zur Haupttribüne, was kurzzeitig etwas Sorge bereitete, aber die Leute wollten offenbar einfach nur auf den überdachten Bereich, sei es um die Perspektive zu verbessern oder Schutz vor drohendem Unwetter zu haben. Die Aufregung hatte sich noch gar nicht ganz gelegt, als nach vier Minuten eine erste Flanke in den Sechzehner der Gäste segelte, welche vom Torwart zu kurz abgewehrt wurde und dann aus wenigen Metern per Fallrückzieher ins Netz fand.
Toller Start und das schien den Mob vor den Stadion-Toren zu beflügeln, denn diesem gelang es das von nur einer Handvoll Polizisten gesicherte Haupt-Tor aufzudrücken und so verdoppelte sich die Zuschauerzahl innerhalb weniger Minuten. Die ‚Lone Stars‘, wie das Nationalteam genannt wird, blieben dran und erhöhten nach einer halben Stunde. Mit dem Halbzeitpfiff konnten die Insulaner verkürzen und zogen dem liberianischen Elan damit den Stecker. Die zweite Hälfte war dann sehr ausgeglichen, nie wirklich gut, aber spannend, da die Insel-Freaks ein paar Mal den Ausgleich auf dem Schlappen hatten. Soweit ich das beurteilen konnte, denn Pascal, Jonny und ich hatten dem Bierangebot der fliegenden Händler angemessen zugesprochen, was wiederum den Blick etwas trübte. Jedenfalls brachten die ‚Lone Stars‘ den Sieg über die Zeit und dürfen nun doch noch ein wenig von einer erfolgreichen, aber wenig wahrscheinlichen WM-Qualifikation träumen. Nach dem Kick steuerten wir eine Bretterbuden-Bar gegenüber dem Stadiongelände an. Da machte sich dann das während des Spieles gezeigte Konsumverhalten etwas bemerkbar und ich bin rückblickend etwas stolz, nicht vom Moto-Taxi gesegelt zu sein, welches mich zurück zum ‚Tropicana‘ beförderte. Mit mitgebrachten Kaltgetränken nahm der Abend dann so seinen weiteren Lauf.
Den Dienstag nutzten Pascal und ich, um in die ‚Altstadt‘ Monrovias zu fahren, die anderen hatten dieses bereits am Sonntag erledigt. Der Ausflug war recht zeitraubend, für die 20 Kilometer benötigten wir verkehrsbedingt mehr als eine Stunde. Vor allem verstanden wir am Umsteigepunkt nicht so ganz, wie die Nummer läuft und profitierten letztlich vom Lift eines Pickup-Fahrers irgendeiner Organisation, der uns die Mitnahme anbot. Liberia ist neben Äthiopien der einzige afrikanische Staat, der nie kolonialisiert wurde. Es gab zwar zuerst portugiesische, später US-amerikanische Einflussnahmen, aber schon Mitte des 19. Jahrhunderts erklärte das Land seine Unabhängigkeit. Im ‚alten‘ Monrovia findet man noch ein paar Bauten kolonialer Architektur, wirklich viel zu sehen gibt es aber nicht. Erster Anlaufpunkt war das Nationalmuseum, danach schlörten wir einfach durch die Straßen, denn das wirklich spannende ist ja eigentlich die Beobachtung des afrikanischen Lebens und das Gewusel und Gezeter auf den Märkten. Zurück in der Unterkunft standen die Zeichen dann auf Abschied.
Ein Genosse war bereits in aller Frühe abgereist, Jonny und Pascal taten dies am späten Nachmittag, während mein Leibarzt und ich noch bis in den frühen Nachmittag des Folgetages verweilten, das Resort aber nicht mehr verließen. Der Flughafen liegt weit außerhalb, vom ‚Tropicana‘ waren es gute 60 Kilometer, die mit dem Sammel-Taxi über bescheidene Infrastruktur mehr als eine Stunde in Anspruch nahmen. Gute drei Stunden vor dem Abflug trafen wir ein, was sich als äußerst sinnvoll erwies, denn der Internet-Anschluss des Airports war zusammengebrochen und alle Daten für die Bordkarten und Gepäck-Badges mussten manuell eingegeben werden, was ein gepflegtes Voll-Chaos bedeutete. Mit deutlich mehr als einer Stunde Verspätung hoben wir gemeinsam mit dem beinahe kompletten Kader der Nationalmannschaft Sao Tomés ab, deren Spieler ja zum Großteil in Portugal aktiv sind, die meisten in der dritten und vierten Liga. Dank verkürztem Zwischenstopp in Abidjan und weil der Captain den Schubhebel etwas mehr durchdrückte, landeten wir mit weniger als einer Stunde Verspätung in Brüssel. Nachdem Spurt meines Lebens und nötigem Druck auf das Personal am Gate des Anschluss-Fluges, der im System schon geschlossen war, für mich aber noch einmal geöffnet wurde, saß ich schweißgebadet im Flieger nach Frankfurt und schloss schließlich zur Mittagszeit die Haustür auf, um die verehrte Gattin in die Arme zu schließen.