Essen – Fr., 15.12.2023, 19:00

Rot-Weiss Essen vs VfB Lübeck 1:0

Stadion an der Hafenstraße, 15.097 Zuschauer, 3.Liga
Der VfB Lübeck löst bei vielen Rot-Weissen noch immer ein ungutes Gefühl aus. Das letzte Spiel gegen den VfB fand am 31.05.2008 in der damals drittklassigen, zweigeteilten Regionalliga statt und bedeutete den Beginn einer langen Leidenszeit. Der RWE hatte sich am Spieltag zuvor mit einem Auswärtssieg in Magdeburg einigermaßen überraschend eine hervorragende Ausgangslage für das letzte Saisonspiel an der heimischen Hafenstraße verschafft. Es ging um nichts weniger als die Qualifikation für die neu geschaffene 3.Liga. Nachdem diese aber nach 31 Spieltagen bei zehn Punkten Rückstand auf den nötigen zehnten Tabellenplatz eigentlich schon verpasst war, kämpfte sich der glorreiche RWE zurück und die Startberechtigung für Liga 3 schien nach einer Siegesserie vor dem letzten Spieltag doch noch zum Greifen nah. Es musste halt ‚nur‘ gegen den bereits chancenlosen VfB Lübeck gewonnen werden. Der VfB hatte zu diesem Zeitpunkt bereits einen Insolvenzantrag gestellt und um Kosten zu sparen, reisten die Spieler mit Kleinbussen an. Es roch also alles nach Formsache. Ich weilte an diesem Wochenende auf einer Geschäftsreise in Schottland, Mobilfunk und Datenvolumen waren damals ja noch teuer, Smartphones noch wenig verbreitet. Um mir die trockene Bestätigung zum Pflichtsieg abzuholen, reichte es mir daher, nach Spielschluss einen Kumpel anzurufen, der dann einige Minuten brauchte, um mich zu überzeugen und dass er mich nicht verarschen will und das Spiel tatsächlich verloren wurde. Die Umstände unter denen die Niederlage zustande kam, sind bis heute etwas nebulös, denn Augenzeugen zufolge spielten viele Akteure gehemmt und es war schon sehr verdächtig, dass in den nächsten Tagen, eben jene Spieler neue, zum Teil äußerst attraktive Arbeitgeber vermeldeten. Für Rot-Weiss ging es dann zwei Jahre später selbst in die Insolvenz und dadurch gar in die fünftklassige NRW-Liga, aus der man zwar mit einer Mannschaft der Namenlosen wie Phoenix aus der Asche in die Regionalliga zurückkehrte, aber es sollte ja bis 2022 dauern, bis man diese auch endlich hinter sich lassen konnte.
Die etwa 300 mitgereisten Fans aus der Marzipanstadt konnten sich auch noch gut an diesen denkwürdigen Tag erinnern und provozierten mit einem passenden Gesang. Naja, mussten sie wohl nutzen, die Gelegenheit, denn in der kommenden Spielzeit geht es ja wohl wieder gegen Norderstedt und Lohne. Die rot-weisse Ultra-Szene gedachte ihrem verstorbenen Mitglied noch einmal mit einer großen Choreografie, nachdem aufgrund der Kürze der Zeit beim letzten Heimspiel nur ein kleiner Rahmen möglich gewesen war. Auf einer großen Blockfahne, das von rechts und links von schwarzen Pappen flankiert wurde, war das Konterfei des verstorbenen abgebildet. Nachdem die Kurve wieder frei war, erstrahlte diese im roten Licht von 70 bis 80 Bengalen. Tolles Bild, sauber abgebrannte Fackeln, niemand zu Schaden gekommen, soweit ich das zu beurteilen mag, abgesehen von den sicherlich nicht gesundheitsfördernden Emissionen der brennenden Stäbe. Aber was wir im alltäglichen Straßenverkehr einatmen und was sonst so in der Luft liegt, wirkt sicher auch nicht lebensverlängernd. Wird den Verein leider ne Stange Geld kosten, denn der Verband dreht ja aktuell total an der Kurbel. Bin gespannt, ob die Clubs nicht doch irgendwann den Rücken durchdrücken und den Ausgleich der unverhältnismäßigen Forderungen verweigern. Es ist offensichtlich, dass sich Pyro-Aktionen auch durch penibelste Kontrollen nicht unterbinden lassen, daher muss eine vernünftige Lösung für dieses Ultra-Kulturelement her.
Erwartungsgemäß rissen die Roten das Spielgeschehen direkt an sich. Gefühlte 90% Ballbesitzt reichten aber nicht, um gute Tormöglichkeiten herauszuspielen. Es wurde zwar geduldig hin und her gepasst und auf die richtige Gelegenheit gewartet, gefährlich in die Spitze zu kommen gelang aber überhaupt nicht, da die Gäste die Räume eng machten und Tempo und Präzision fehlten. So dauerte es bis in die Schlussminute der ersten Hälfte, bis sich die erste gute Torchance ergab und diese führte zum Treffer des Tages durch Isi Young, der bis dahin zwar wieder bemüht und engagiert, aber leider auch ziemlich wirkungslos agierte. Das Bild änderte sich auch im zweiten Durchgang nicht grundlegend. Die Gäste versuchten jetzt mal etwas mehr am Spiel teilzunehmen, bis auf einen hart geschossenen Freistoß, den Golz unter Zuhilfenahme der Querlatte über dieselbe lenkte, passierte aber nichts. Auf der Gegenseite verpasste der RWE bei zwei dünneren Gelegenheiten die Vorentscheidung. In der Schlussphase kam der VfB dann getrieben vom Mute der Verzweiflung noch mal in Wallung. Solche Spiele entwickeln in den letzten Minuten ja immer eine eigenwillige Dynamik, da kommt die Psychologie mit ins Spiel. Und so kamen die Lübecker noch zu zwei guten Einschusschancen. Beim ersten Versuch rauschte der Ball am langen Posten vorbei und beim zweiten Torversuch war Golz mal wieder mit einem Monster-Reflex zur Stelle. Auf der Gegenseite blieb eine gute Freistoß-Chance ungenutzt und so ging dieses Spiel mit dem kleinstmöglichen für einen Sieg notwendigen Resultat zu Ende. 30 Punkte nach Abschluss der Hinrunde – bei einem ausstehenden Nachholspiel gegen die Löwen – sind ein fantastischer Wert und wie eng diese Liga ist, zeigt sich darin, dass sieben der letzten acht Spiele mit nur einem Tor Unterschied für oder gegen den RWE ausgingen.