Islamabad – Di., 17.10.2023, 14:00

Pakistan vs Cambodia 1:0

Jinnah Sports Stadium, 11.000 Zuschauer, WM-Qualifikation AFC 1.Runde
Als vor einigen Wochen mein Leibarzt aus dem Saarland mit dem Hinweis um die Ecke kam, dass Pakistan beim asiatischen Verband eingebracht hat, zum ersten Mal seit acht Jahren wieder ein Quali-Spiel daheim austragen zu wollen, regte sich nach kurzer Skepsis das Abenteurer-Herz. Pakistan ist ein Schurkenstaat! So zumindest die landläufige Meinung. Grundsätzlich erfährt man aus den kommerziellen Medien wenig über dieses Land und wenn es in den Nachrichten auftaucht, dann selten mit deren positiven. Dass sich aber – wie in vielen Staaten mit zweifelhaftem Ruf – die Anzahl der Idioten und Fanatiker in Grenzen hält und man beinahe ausschließlich auf offene und gastfreundliche Leute trifft, klingt fremd in des Normalbürgers Ohren. Nach langem Hin und Her fiel die finale Entscheidung des asiatischen Fußballverbandes, dass dieses Spiel in Pakistan stattfinden darf, eine gute Woche vor dem erforderlichen Reisebeginn. Wenig Zeit, die noch knapper wird, wenn man blöd genug ist, zunächst den falschen Visum-Typ zu beantragen. Entgegen meinen Erwartungen zeigte sich die konsularische Abteilung der pakistanischen Vertretung in Frankfurt aber äußerst hilfsbereit. So klappte es letztlich mit Erteilung und die die Anreise wurde nur noch aufgrund von Flugverspätungen etwas nervig.
Das Routing hieß ‚Pegasus‘ ab Düsseldorf über Istanbul nach Karachi und von dort weiter nach Islamabad mit ‚Pakistan International‘, von denen später im Bericht noch zu reden sein wird. Am Morgen des Montag in Islamabad – Hauptstadt des Landes und mit Agglomeration über zwei Millionen Einwohner stark – eingetroffen, erwartete mich dann der Herr Doktor und ein weiterer Mitreisender aus Nürnberg. Islamabad zeigte sich äußerst aufgeräumt. Erst 1970 wurde die damals von gerade einmal 70.000 Einwohnern bewohnte Stadt zur Hauptstadt und dann großzügig in Planquadraten angelegt. Die Stadtteile tragen keine Namen, stattdessen wurden die Quadrate durchnummeriert. Der Nachmittag führte uns zur ‚Faisal Mosque‘, sechstgrößter muslimischer Sakral-Bau der Welt. Einsetzender Regen zwang uns aber zu Rückkehr ins Apartment, wo ich ein wenig Schlaf nachholte, bevor ich mit dem Akademiker schon mal die Möglichkeiten zur Weiterreise in den Norden des Landes auslotete. Abends ging es nur noch zum Essen in ein nahes Grillrestaurant. Nach erneutem Besuch der Faisal-Moschee am folgenden Morgen, der uns nur bedingt weiterbrachte, da uns der Zutritt wegen Koran-Unterrichts verwehrt wurde, steuerten wir das unweit des eigentlichen heutigen Zielortes liegende ‚Pakistan Monument‘ an.
Von dort ging es dann zum ‚Jinnah Stadium‘, ein großes Mehrzweckstadion mit einem Fassungsvermögen von knapp 50.000 Zuschauern, dessen Flutlichtanlage stark an jene des bald nicht mehr existierenden großen Stadions in Rabat in Marokko erinnert. Die erste Runde der WM-Qualifikation des asiatischen Verbandes fand im K.O.-System statt, um ein wenig Fallobst auszusortieren. Das Hinspiel in Phnom Penh ging torlos aus, was der pakistanischen Mannschaft die recht unerwartete Chance auf den Einzug in die nächste Runde eröffnete. Fußball führt in Pakistan ein Schatten-Dasein. Cricket steht weit über allem in der Beliebtheitsskala. Die Popularität dieses Sports kann man an dem am Tag vor diesem Fußballspiel bei der aktuell in Indien stattfindenden Cricket-WM ausgetragenen Spiel zwischen dem Team der Gastgeber und der Mannschaft Pakistans ablesen. Der TV-Übertragung wohnten 1,4 Milliarden(!) Menschen bei. Die junge Dame am improvisiertem Ticketschalter meinte, dass circa zehn- bis elftausend Zuschauer erwartet würden. Als wir eine Dreiviertelstunde vor Spielbeginn das weite Rund betraten, verloren sich jedoch ein paar hundert Leute darin.
Wie es aber in einfach strukturierten Ländern oft der Fall ist, strömten bis tief in der ersten Halbzeit die Zuschauer ins Stadion, so dass die prognostizierte Zahl tatsächlich noch erreicht wurde. Am Verhalten mancher Zuschauer war abzulesen, dass diese zum ersten Mal in ihrem Leben einem Fußballspiel beiwohnten. Die Gastgeber schien die Perspektive auf das Erreichen der Gruppenphase eher zu lähmen, denn die Khmer-Jungs waren in Halbzeit eins deutlich sicherer und gefährlicher und dem Führungstor nahe. Die Pakistani überstanden den ersten Durchgang aber mit Glück, Geschick und einem guten Schlussmann. Komplett anders sah es nach dem Seitenwechsel aus. Das pakistanische Team zeigte sich plötzlich ballsicher, mutig und offensiv stark verbessert. Nach gut siebzig Minuten fiel das Tor des Tages, welches von der Mannschaft mit den Zuschauern ordentlich gefeiert wurde. Den Kambodschanern fehlten dann die spielerischen Mittel um das Ruder noch einmal rumzureißen und die Gastgeber erreichten mit dem einzigen Treffer in 180 gespielten Minuten die Gruppenphase, in der unter anderem gegen die starken Saudis einige lehrreiche Erfahrungen drohen. Aber natürlich ist es dennoch ein großer und nicht unbedingt zu erwartender Erfolg für das (noch?) wenig fußball-affine Land, in dem es natürlich ein weiter Weg sein wird, diesen Sport zu etablieren.
Nach Spielschluss fuhren wir zum Marriott-Hotel, wo irgendwo im Keller hinter einer unscheinbaren Tür mit irreführender Aufschrift eine Bar existiert, in der Bier ausgeschenkt wird. Nicht-Muslimen ist der Alkoholkonsum in Pakistan erlaubt, aber der Teufel Alkohol wird vor Allahs strengem Blick gut versteckt. Es gibt schon seit Achtzehnhundertirgendwas eine Brauerei im Land, vermutlich ein Vermächtnis der ehemaligen Kolonialmacht England. Deren Erzeugnisse – neben verschiedenen Bieren werden auch Spirituosen gebrannt – können in wenigen, über das Land verteilten, ausgesuchten Hotels konsumiert werden. Der Geschmack ist zugegeben überschaubar deliziös, aber in der Not frisst der von seinem latenten Alkoholbedürfnis gepeinigte Teufel ja bekanntlich Fliegen. Der letzte Abend zu dritt klang bei einem vorzüglichen Essen in einem besser gestellten Restaurant aus. Für den nächsten Morgen hatten der Medizinmann und ich einen Fahrer gebucht, der uns nach Chilas bringen sollte. Diese Kleinstadt liegt am Karakorum-Highway, etwa 450 Kilometer und elf Stunden Fahrzeit von Islamabad entfernt. Hat man Abbottabad – das aufgrund der Tötung Osama bin Ladens durch eine US-Spezialeinheit zweifelhafte Berühmtheit erlangte – passiert, werden Profil und Landschaft immer atemberaubender.
Es geht auf den Himalaya zu. Der Karakorum-Highway schlängelt sich zum Teil den Indus entlang, dem längsten Fluss des indischen Subkontinents, der sich tief in das Tal eingegraben hat. Die Strecke ist immer wieder durch notdürftig geräumte Erdrutsche verengt und bei Tag relativ stark befahren, Busse und Lkw verlangsamen den Verkehrsfluss zusätzlich und können auf der kurvenreichen Strecke nur bedingt sicher überholt werden. Unseren pakistanischen Formel-1-Piloten stellte das allerdings nur selten vor wirkliche Probleme… Nach Einbruch der Dunkelheit kamen wir in Chilas an und suchten uns eine einfache Unterkunft. Am nächsten Morgen absolvierten wir die letzte Stunde Fahrzeit bis Raikot Bridge. An diesem Punkt beginnt der Jeep-Track nach Tattu, dem auf 2.500 Metern gelegenen Ausgangspunkt des Trails nach Fairy Meadows. Der Jeep-Track gehört zu den gefährlichsten Straßen der Welt. Es ist eine einspurige, unbefestigte Straße, die zu einer Seite mehrere hundert Meter beinahe senkrecht ins Tal abfällt. Die Strecke nötigt Respekt ab, aber die Jeep-Jungs wissen schon was sie tun und angeblich hat es noch nie einen Unfall gegeben. Für die 15 Kilometer werden auch gute 90 Minuten Fahrzeit benötigt.
Fairy Meadows, die ‚Märchenwiese‘, ein Ort von dem ich vor des Doktors Fingerzeig noch nie gehört hatte. Der Zufall wollte es aber, dass ich just am Abend des Tages an dem mich der Doc in seine Pläne einweihte, eine TV-Reportage über diesen Ort sah. Das wertete ich als Zeichen und damit war der Pakt besiegelt. Fairy Meadows ist eine Hochalm im westlichen Himalaya. Von dieser Aue bietet sich ein atemberaubender Blick auf den majestätischen Nanga Parbat, dem mit 8.125 Metern westlichsten gelegene Achttausender, der als einer der am schwierigsten zu besteigenden Gipfel gilt. Der Nanga Parbat, zu Deutsch ‚Nackter Berg‘, von den Einheimischen auch Diamir, ‚König der Berge‘, genannt, wird auch als ‚Schicksalsberg der Deutschen‘ bezeichnet, da in den 30er Jahren des verganganen Jahrhunderts einige Expeditionen und deutscher Leitung mit tödlichem Ausgang scheiterten. Die Märchenwiese liegt auf 3.300 Metern Höhe und kann vom Zielpunkt des Jeep-Track recht einfach erwandert werden. Leider ist dem Ort der Zauber, den er vor Jahren sicherlich noch versprüht hat, etwas abhanden gekommen, da viele neue Unterkünfte gebaut wurden oder noch in Bau sind. Dennoch ist das sich bietende Panorama unglaublich beeindruckend.
Die Nächte waren bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt in unisolierten Holzbehausungen allerdings eine Herausforderung. Trotz mehrerer Decken, fühlte sich der Einstieg ins Bett in den ersten Minuten an, als ob man sich in eine Tiefkühltruhe legte.  Am folgenden Morgen sprangen wir früh raus aus der Kühlkammer, um den Sonnenaufgang mitzuerleben. Danach erwanderten wir zunächst den sogenannten ‚View Point‘, von dem wir das Nanga Parbat Base Camp erreichen wollten. Davon wurde uns dann aber von mehreren Einheimischen abgeraten, da der Weg bereits von zu viel Schnee beeinträchtigt sein sollte. Stattdessen wurde uns die Ersteigung des ‚German Point‘ empfohlen, welcher gute Aussicht bieten sollte. Dem Rat folgten wir dann auch. Dass der steile Weg ebenfalls durch den ersten Schnee führte und einige rutschige Stellen offenbarte, stellte die Meinung der Ortskundigen allerdings in Frage. Auf 3.890 Metern Höhe endete der Hike und auf den letzten zweihundert Höhenmetern musste ich mir in der dünnen Luft jeden Meter hart erkämpfen.
Am nächsten Morgen stiegen wir von Fairy Meadows wieder herab zu den Jeeps, die uns ins Tal zurückbrachten. Per Anhalter erreichten wir am frühen Abend Skardu, mit 30.000 Einwohnern einzige Stadt in der Provinz Baltistan. Eigentlich war der Plan, am Mittag des folgenden Tages mit ‚Pakistan International Airlines‘ nach Islamabad zu fliegen und dort noch eine Übernachtung einzuschieben, um die Rückreise etwas zu entzerren. Es zeichnete sich aber ab, dass PIA den Flug streichen würde, da das staatliche Luftfahrtunternehmen im Privatisierungsprozess steckt und daran schwer zu kauen hat. Da frische Gelder fehlen, aus diesem Grunde Kerosin-Rechnungen nicht beglichen werden können, fallen aktuell gut die Hälfte aller Verbindungen aus. Dieses war dann mich betreffend am Morgen des Abflugtages auch Gewissheit. Mit seherischen Fähigkeiten hatte ich aber als Backup für den Folgetag über ‚Airblue‘ einen weiteren Flug nach Islamabad gebucht. Allerdings wurde auch der PIA-Flug ab Islamabad nach Karachi gestrichen, den ich mir dann mit FlyJinnah teuer neu buchen musste
Also verbrachte ich zusammen mit meinem Doktor einen weiteren Tag in Skardu. Nach einem Spaziergang durch den Ortskern, erklommen wir das oberhalb der Stadt liegende Fort Kharphocho, von dem man einen tollen Blick über die Stadt und das Tal hat. Beim Abstieg sahen wir reges Treiben auf dem Polo-Platz. Also hin da und ich sah das erste Polo-Spiel meines Lebens. Die Teams zeigten sich unbeeindruckt von unserer Anwesenheit und über den Platz latschenden Ziegen und gaben recht ordentlich Gas. Am Abend speisten wir gemeinsam noch mal vernünftig und am folgenden Morgen hieß es dann Abschied voneinander nehmen, da der Doc den Karakorum-Highway weiter hinauf reiste, um über den Khunjerab-Pass bis an die chinesische Grenze zu gelangen. Meine Reise führt mich mit zwei mehrstündigen Aufenthalten in Islamabad und Karachi über Istanbul in einer gesamten Reisezeit von 27 Stunden nach Hause. Pakistan hat seinen schlechten Ruf völlig zu Unrecht, was mich allerdings nicht überraschte. Tolle Reise, tolle Eindrücke, tolles Land.