Samstag, 23.11.2019, 19:00

marokko

Wydad Athletic Club vs Raja Club Athletic 4:4

Stade Mohammed V, 55.000 Zuschauer, Arab Club Champions Cup

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Als ich mich mit Nobbi aus Mönchengladbach über die nächsten Aktivitäten austauschte, fiel auf, dass für dieses Wochenende in seinem wie in meinem Plan noch ein Fragezeichen stand.  Als er das Stichwort Marokko fallen ließ, fiel mir ein, dass ja das Casablanca-Derby im Rückspiel des Arab Club Champions Cup für das Wochenende angesetzt war. Und nach Marokko hatte es mich bisher auch noch nicht verschlagen. Immer wenn das mal auf dem Plan stand, Flüge waren sogar schon mal gebucht, kamen mir unverschuldete Ereignisse dazwischen. Mit Spielansetzungen in Marokko ist es auch so eine Sache. Termin-Treue ist im Maghreb ein Fremdwort. Und gerade die Ansetzungen des Casablanca-Derby sind in der Regel noch wackeliger als die Vier-Minuten-Meisterschaft von Gesindelkirchen Null-Vier. Dass sich diese Paarung nun in einem Länder-übergreifenden Wettbewerb ergab – es war überhaupt das erste mal, dass Wydad und Raja außerhalb nationaler Wettbewerbe aufeinander trafen – machte die Geschichte überraschend planbar. Der Arab Club Champions Cup ist ein Wettbewerb der UAFA. Hört sich wegen der Ähnlichkeit zum UEFA-Kürzel wie ein Jux-Verband an, ist aber der Fußballverband der zur Arabischen Liga gehörigen Staaten und bringt die arabisch geprägten Länder Asiens und Afrikas zueinander. Man könnte nun meinen, der besagte Wettbewerb sei eine Art Kirmes-Pokal und ohne Bedeutung, aber das Ding wird seit fast 40 Jahren ausgespielt und von den teilnehmenden Teams absolut ernst genommen. Kurzerhand wurde die Verbindung von Weeze nach Rabat mit Hinflug am Freitag und Return am Montag drei Wochen vor dem Spiel für einen noch erstaunlich schmalen Taler beim Billig-Iren gebucht. Parken in Weeze ist auch so ein Un-Thema. Auf den offiziellen Parkplätzen in Terminal-Nähe ist das Abstellen des Autos nahezu unbezahlbar und Passagier-feindlich. Und dann wundert sich die Betreiber-Gesellschaft, dass die Passagierzahlen schrumpfen. Ryanair hat in den letzten Jahren immer mehr Verbindungen gestrichen, natürlich weil eben auch immer weniger Leute von Weeze fliegen wollen. Wenn man mit seinem Airport irgendwo in der Provinz liegt, also schon einem Wettbewerbs-Nachteil aufgrund mangelhafter Anbindung an den ÖPNV unterliegt, sollte man doch die Attraktivität steigern, eben zum Beispiel mit günstigem Parkraum. Stattdessen schreckt man die Leute noch zusätzlich zu den horrenden Parkgebühren mit einer unverschämten Gebühr in Höhe von drei Euro ab, die zwingend zu entrichten sind, wenn man das Flughafen-Gelände befahren will. Ganz ehrlich, mach zu das Dingen, dann kommt man gar nicht mehr in die Versuchung, sich dorthin zu verirren. Drecks-Flughafen! Wir stellten die Fahrzeuge in Weeze ab und fuhren mit dem Linien-Bus zum Flughafen. Flug unspektakulär und pünktlich um halb acht landeten wir auf dem Airport Rabat-Salé. Kurze Verhandlung mit nem Taxi-Mokel, unerwartet harmlos, und dann ab nach Salé zum vorab gebuchten Riad. Zu viel mehr als einem Abendessen reichte es dann nicht mehr. Dankbarer Weise verkaufte unser Gastgeber Dosenbier, was ja in Marokko schon einem Sechser im Lotto gleich kommt. Allerdings schien der er selber hart am Glas zu sein, wie sein Atem unmissverständlich verriet… am Ende saufen Sie eben doch alle!
Das Frühstück am nächsten Morgen gab es in einem beduinischen Zelt auf der Dachterrasse im orientalischen Stil. Die marokkanische Bahn brachte uns in etwas mehr als einer Stunde zum Bahnhof Casablanca-Voyage. Die eigenen unteren Extremitäten brachten uns die knappen zwei Kilometer zum Campanile Hotel, wo wir zur Mittagszeit schon einchecken durften. Meine latente Gewohnheits-Abhängigkeit machte es mir zur Aufgabe, ein paar Biere für den Abend zu besorgen. Wie gesagt, nicht so einfach in Marokko. In der nahen Filiale des Carrefour-Supermarkt, wo es gelegentlich Alkohol-Abteile geben soll, schlug der Versuch schon mal fehl. Die Nachfrage bei einem Mitarbeiter öffnete ein Kapitel aus der Reihe „Jeder will helfen, aber keiner weiß was“ und ich wurde von einem Ort zum anderen geschickt. Eine etwa 40minütige Odyssee später war ich mit leeren Händen im Hotel zurück. Nun blieb noch ein wenig Zeit für Sightseeing, also fuhren wir mit der Bahn Richtung Medina und durchquerten diese in Richtung der Moschee Hassan II, welche direkt an der Atlantikküste erbaut wurde. Diese Moschee, benannt nach dem Vater des amtierenden Königs Marokkos, ist wahrlich beeindruckend groß. Sie ist eine der größten Moscheen weltweit und ihr Minarett war bis in dieses Frühjahr, als in Algier die neue Moschee fertiggestellt wurde, mit 210 Metern das höchste der Welt. Mit dem Taxi fuhren wir zurück zum Hotel und machten unterwegs einen letzten Versuch ein paar Biere zu erwerben. Was auch gelang und tatsächlich war ein sogenannter Liquor Store nur 200 Meter von dem Punkt entfernt zu finden, an dem ich mittags aufgegeben hatte.
Ein weiteres Taxi brachte ins zum Stade Mohammed V. Der Zugang zum Stadion ist stark gesichert. Zwei Kontrollringe und schließlich das Drehkreuz mit dem Ticket-Scanner wollen überwunden werden, wenn man ins weite Rund gelangen will. Die Ticket-Frage war erstaunlich einfach zu klären. Ein marokkanisch-stämmiger Mitarbeiter in der Antwerpener Niederlassung meines Arbeitgebers war so freundlich sich zu kümmern und schoss zwei Tickets im Online-Vorverkauf, der drei Tage vor dem Spiel startete. Dann mal rein in die gute Stube. Das Stadion ist ein – ich würde fast sagen Afrika-typisches – großes Mehrzweck-Oval mit Laufbahn. Die Haupttribüne ist komplett überdacht. 55000 Zuschauer passen hinein und die sollten sich auch einfinden. Klar, das Derby zieht auch in der 141. Auflage die Massen. Gute 90 Minuten vor dem Kick-off waren wir nun drin und das war eigentlich schon zu spät, denn wir fanden nur noch Plätze am Rande der Haupttribüne. Die Kurven waren auch schon gut gefüllt und die ersten Gesänge schallerten durch den Kessel, aber vom Warm-Up hatte ich insgesamt irgendwie mehr erwartet, denn die Stimmung flachte bis zum Anstoß wieder deutlich ab. Das, was noch folgen sollte, entschädigte aber für die etwas laue Aufwärmphase. Wie immer zeigten beide Kurven aufwendige, mehrteilige Choreographien, deren Hintergrund uns sich nur zum Teil erschloss. Wahnsinn, was da für eine Mühe reingesteckt wird. Die Kurven battelten sich damit, wer seine Show länger zurückhalten kann. Den Raja-Anhang übermannte die Ungeduld zuerst und die Wydad-Kurve hatte damit eine erste Schlacht gewonnen. Nachdem die Choreos erledigt waren, wurde in beiden Kurven massiv Pyro gezündet. Krasses Kurvenbild, was die Aktiven nicht daran hinderte das Spielgeschehen zu fortzusetzen. Man stelle sich diese Nummer in Deutschland vor – der Referee hätte die Mannschaften unter Schnappatmung in die Kabinen gebeten, sich im Schrank der Schiri-Kabine eingeschlossen und das SEK gerufen.
Wie schon erwähnt handelte es sich um das Rückspiel der zweiten Runde. Wydad genoss Heimrecht, das Stadion ist aber die Heimat beider Clubs. Das Hinspiel hatte 1:1 geendet. Die Partie nahm dann recht schnell Fahrt auf und es dauerte keine Viertelstunde bis Wydad durch einen wohl berechtigten Foulelfmeter in Führung ging. Raja war das aktivere Team und hatte mehr vom Spiel, wurde aber schlussendlich zunächst nicht gefährlich. So ging es mit der knappen Führung für den WAC in die Pause. Die Atmosphäre kann durchweg als stark bezeichnet werden. Die Kurven waren immer in Aktion mit einer fast hundertprozentigen Mitmachquote. Eine ganze Reihe große Schwenker wurden ohne Unterlass bewegt, sah schon gut aus, schönes Kurvenbild. Da steckte schon eine gute Energie drin, starke Sache. Nach dem Seitenwechsel richteten beide Seiten erneut Choreographien her. Da Raja den Spielstand aber schnell per Elfmeter egalisierte und Wydad dieses nur wenig später mit einem Doppelschlag zur 3:1-Führung beantwortete, gingen die Choreos beinahe unter, denn das weite Runde verwandelte sich in ein Tollhaus und es wurden in Folge der Tore wieder Unmengen an Pyro gezündet. Die Wydad-Kurve war nach den beiden Treffern binnen zwei Minuten natürlich auf Wolke Sieben. Als zwanzig Minuten vor Schluss Treffer Nummer Vier für Wydad fiel, war die Geschichte natürlich gegessen. Dachten sicherlich alle, denn drei Tore Vorsprung sind im marokkanischen Fußball sicherer als die dickste Tresortür. Der Treffer zum 2:4 aus Sicht von Raja wenig später wurde daher auch eher als Ergebniskosmetik betrachtet. Zwei Minuten vor Ende der regulären Spielzeit wurde es dann aber noch mal interessant, denn Raja konnte mit einem weiteren Strafstoß den Anschluss herstellen. Es folgten ein wütender Sturmlauf in der Nachspielzeit, ein letzter Freistoß nahe der Eckfahne und ein Kopfball in den linken oberen Torwinkel! Ausgleich in der vierten Minute der Nachspielzeit, der Raja aufgrund des Hinspiel-Resultat von 1:1 in die nächste Runde beförderte. Unfassbar! Das war dann auch der einzige kurze Moment in dem es auf Wydad-Seite so mucksmäuschenstill wurde, als hätte Mohammed persönlich zum Gebet gerufen. Um uns herum schauten wir in versteinerte, entgeisterte, geschockte Gesichter und einige ließen ihren Tränen freien Lauf. Raja feierte, als hätten sie den Cup schon gewonnen. Es wurde noch mal kurz angepfiffen, dann war es amtlich.
Einige Raja-Leute enterten nun den Innenraum, um ihre Helden für diese Wahnsinns-Leistung zu feiern und in diesem Zuge fanden es zwei oder drei Verirrte eine gute Idee, in Richtung der Wydad-Kurve zu laufen und zu provozieren. Das befreite die WAC-Jungs aus der Lethargie und ein gut hundert Mann starker Mob setzte sich in Bewegung. Die Staatsmacht konnte größere Folgen und intensiven Kontakt zwischen den Parteien aber unter Einsatz der Migränestäbchen schnell unterbinden. Was für ein Spiel – schwer in Worte zu fassen und das hier Wiedergegebene wird dem Live-Erlebnis natürlich in keinster Weise gerecht. 140 Mal waren Wydad und Raja vorher aufeinander getroffen und es waren maximal sechs Tore in einem Spiel gefallen und das auch nur ein einziges Mal. Es gab sogar schon eine Serie von fünf torlosen Remis in Folge. Und nun ein 4:4. Jackpot! Hauptgewinn! Dieser Kick landet definitiv in meiner persönlichen Top Fünf oder Top Drei der gesehenen Spiele. Man muss auch mal Glück haben. Wir machten uns langsam auf zum Hotel. Ein Taxi in Stadionnähe zu ergattern war unmöglich, also liefern wir mal los. Irgendwann Aufregung hinter uns. Mehrere Polizei-Wannen kamen mit Blaulicht angefahren und ein bestimmt dreihundert Leute starker Wydad-Mob rannte an uns vorbei. Es soll in der Stadt auch noch Kämpfe gegeben haben, aber wir hatten genug gesehen und freuten uns darauf, das Erlebte bei ein paar Bieren Revue passieren zu lassen.