Stadion am Bruchbaum, 2.334 Zuschauer, Regionalliga West
Lippstadt auswärts auf nem Freitag-Abend. Nicht die Spiele, um die ich mich in den letzten Spielzeiten gerissen habe. Klar, meist ging es schon um nix mehr, Spielbesuche mit rot-weisser Beteiligung verursachten meist eher Schmerzen als Wonne, und dann diese elendige Gurkerei, um im Feierabend-Verkehr erst einmal aus dem Pott raus zu kommen. Letzteres war heute natürlich nicht anders, aber zum einen hatte die Dame im Navi eine ganz gescheite Idee für die Anreise parat und zum anderen ist die sportliche Ausgangslage ja eine gänzlich unterschiedliche. Ich hab es je bereits mal erwähnt, aber weil es sich so anders anfühlt, sei es noch einmal definiert – ich verspüre tatsächlich wieder echte Vorfreude auf Rot-Weiss-Spiele. Das kenne ich so kaum noch, zuletzt war es eher eine Art Pflichtgefühl, welches einen zu den Spielen zwang, und nun fühlt man sich ja beinahe wie frisch verliebt. Die Hälfte der 2300 Anwesenden wird denn auch dem glorreichen RWE zugetan gewesen sein, eher noch mehr davon. Die Ultra-Fraktion hatte es gerade so zum Anpfiff nach Lippstadt geschafft. Bis sich alle sortiert hatten und die Fahnen am Zaun hingen, dauerte es noch einmal zehn bis fünfzehn Minuten. Als Kurvenkind der späten 80er und der 90er bin ich ja bekanntermaßen kein Freund des strikten Ultra-Style mit seinen narzisstischen, viel zu langen Gesängen, oft nicht spielbezogen und andere Tendenzen in der Kurve erstickend. Aber eins wurde hier mal deutlich – so lange die Jungs sich nicht loslegten, war es auch nicht weit her mit Stimmung. Hier und da wurde mal ein alter Gassenhauer angestimmt, aber richtig durchsetzen konnte sich da nichts. Die Kurven haben einfach verlernt, ohne Anleitung das Stimmungsbarometer in Wallung zu bringen. Das war dann ab dem Zeitpunkt anders, als der Trommelstock zum ersten Mal die Schwingungsmembran berührte. Und – der Objektivität muss dann auch Rechnung getragen werden – natürlich hat die rot-weisse Ultra-Gemeinde auch längst ein Gespür für die richtige Mischung entwickelt, um die gemäßigteren Leute in der Kurve mitzunehmen und oft genug die ganze Masse zu bewegen. Diese Energie übertrug sich dann auch schnell auf die Mannschaft, die wieder erfrischend nach vorne spielte. Die Qualität in der Offensiv- und Kreativ-Abteilung ist echt brutal – es ist eine absolute Freude zuzuschauen. Auch in der Defensive ist das Team sicher nicht schlechter besetzt, aber dort fällt doch immer noch das eine oder andere Abstimmungsproblem auf. Besonders bei schnell vorgetragenen Angriffen der Westfalen in die zentrale Spitze taten sich Lücken auf. Eine davon nutzten die Gastgeber früh zur Führung. Die Roten ließen sich nicht beirren und spielten geduldig weiter nach vorne, aber es bedurfte eines taktischen Wechsels, bis der verdiente Ausgleich durch den eben eingewechselten Joker Adetula fiel. Damit ging es in die Pause und kurz nach Wiederanpfiff ging der Deutsche Meister von 1955 dann auch in Führung. Damit war alles klar. Dachte wohl sich ziemlich jeder im kleinen Stadion, aber der SV 08 konnte kurz darauf eher überraschend wieder ausgleichen. Tja, wäre es noch der ‚alte‘ RWE der letzten Jahre, hätte nun das große Zittern begonnen. Der Todesstoß hätte befürchtet werden müssen und man hätte sich mit einem Remis zufrieden gezeigt. Konjunktiv, Vergangenheit. Ich behaupte mal, die wenigsten werden daran gezweifelt haben, dass dieses Spiel hier und heute noch gewonnen wird. Zu überzeugend trat der RWE wieder auf und bei diesen zielstrebig und schnell vorgetragenen Angriffen, darf man jederzeit berechtigte Hoffnung bis in die letzte Sekunde der Nachspielzeit haben, dass noch ein Treffer fällt. So lang musste aber nicht gewartet werden. Trainer Titz bewies erneut ein glückliches Händchen und wechselte mit Hedon Selishta den Sieg ein. Mit zwei Treffern sicherte der von Bayern Alzenau gekommene Torschützenkönig der letztjährigen Hessischen Oberliga den verdienten Sieg für die Gäste. Sechster Sieg im siebten Spiel bei einem Remis. Ich vermute, die kühnsten Optimisten hätten nicht mit so einem Saisonstart gerechnet. Und so souverän das Spiel dieser runderneuerten Essener Mannschaft auch wirkt – ich bleibe trotz ehrlicher Begeisterung vorsichtig optimistisch. Im Normalfall werden auch mal unruhige Phasen kommen und dann wird man sehen, welche Moral und Mentalität das Team beweist. Ändert aber nichts daran, dass allen Rot-Weissen die Momentaufnahme und der Genuss dieser gegönnt werden darf. Nur der RWE!